Freiwilliges Engagement in Ostdeutschland, Extremismusbekämpfung und Demokratieförderung

Bürgerschaftliches Engagement hat in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren. Rund 40 % der Bevölkerung engagieren sich bundesweit freiwillig, sei es in Vereinen und Verbänden, in selbstorganisierten Gruppen bis hin zu Freiwilligendiensten oder im klassischen Ehrenamt.

Engagierte Bürgerinnen und Bürger bringen ihre Kraft und ihre Kreativität ein. Sie tragen damit dazu bei, die Vielfalt und Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zu gestalten, die die Menschen herausfordern – häufig besonders in ländlichen Regionen.
Ein Ziel des Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland ist es deshalb, das bürgerschaftliche Engagement in den ostdeutschen Bundesländern weiter zu stärken und auch mit eigenen Aktivitäten zu unterstützen. Die Engagement-Landschaft, die sich nach 1990 neu formieren musste, ist auch heute noch in ihren Strukturen und in ihrer personellen und finanziellen Ausstattung nicht so nachhaltig gefestigt wie andernorts. Der 2019 gestartete Wettbewerb „MACHEN!“ hat gezeigt, wie wichtig niedrigschwellige Angebote für Vereine in kleinen Gemeinden in Ostdeutschland sind, um den Zusammenhalt und die Lebensqualität vor Ort zu stärken. Daher wird der Wettbewerb 2023 fortgeführt und die Umsetzung gemeinwohlorientierter Projekte mit einem Preisgeld gewürdigt.

Gerade die Transformationserfahrungen in Ostdeutschland sollten stärker mit einfließen, wenn es darum geht, wie Bürgerinnen und Bürger in Veränderungsprozesse besser einbezogen, zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Verbände im Umgang mit Krisenfolgen befähigt und Wandel aktiv mitgestaltet werden kann. So ist es möglich, dass strukturelle Krisen zu „Sternstunden der Zivilgesellschaft“ werden, die „das Wirken von Engagierten und ihren Organisationen besonders deutlich“ [1] machen.
Der Angriffskrieg auf die Ukraine und „der damit verbundene schlagartige Zuzug von geflüchteten Menschen, die Hochwasser-Katastrophen in den Jahren 2002 oder 2021, der Sommer 2015, als Deutschland tausende Geflüchtete aufnahm, oder die Covid-19-Pandemie“ haben sehr deutlich gezeigt, was Menschen an Engagement und Ehrenamt zu leisten im Stande sind und wie hoch die Bereitschaft in Deutschland ist. Die große Bedeutung, die dem bürgerschaftlichen Engagement zukommt, wird in solchen Ausnahmesituationen noch mal besonders deutlich. 
Umso wichtiger ist es, die ganz alltäglichen Leistungen der Verbände, Vereine und weiterer ehrenamtlicher Organisationen außerhalb von Krisenzeiten nicht zu vergessen und als gegeben anzusehen. Sie tragen durch ihre Angebote und Aktivitäten ganz wesentlich zur Lebensqualität bei und sind ein Standortfaktor für die Städte und Gemeinden in Ostdeutschland. Insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Räumen würde es ohne Engagierte an vielen sozialen Infrastrukturen fehlen.

Hinzu kommt, dass bürgerschaftliches Engagement auch eine große Chance für Integration und gesellschaftliche Teilhabe bietet. Ehrenamtliche Akteure, die durch ihr Engagement Selbstwirksamkeit erfahren und gleichzeitig von staatlichen Stellen Unterstützung erhalten, sind hervorragende Multiplikatoren unserer freien und pluralistischen Gesellschaft. Sie sind selbst die besten Beispiele für deren Gelingen und strahlen damit aus in die lokale Gesellschaft. Daher ist Engagementförderung nicht nur in Ostdeutschland stets auch ein wichtiges Mittel der Demokratiestärkung.

So viel die zivilgesellschaftlich Aktiven mit ihrer Tätigkeit auch ausgleichen und befördern, ehrenamtliches Engagement braucht Strukturen. Insbesondere in Ostdeutschland müssen sie auf allen Ebenen ausgebaut und verstetigt werden. Dazu gehört auch, eine auf die Bedürfnisse von ehrenamtlich Engagierten abgestimmte, niedrigschwellige finanzielle Unterstützung zu ermöglichen.
Mit der Gründung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) im Jahr 2020 ist auf Bundesebene erstmals eine zentrale Anlaufstelle für das bürgerschaftliche Engagement und das Ehrenamt in Deutschland geschaffen worden. Der Standort Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern), als Sitz der Stiftung, wurde bewusst zugunsten einer ländlichen Region in einem ostdeutschen Flächenland gewählt. Ziel der Stiftung ist es, Engagement und Ehrenamt in Deutschland nachhaltig zu stärken und zu fördern und die bürgerschaftlich und ehrenamtlich Engagierten bei den unterschiedlichen und vielfältigen Herausforderungen zu unterstützen. [2] Im Fokus stehen strukturschwache und ländliche Räume. Die ostdeutschen Bundesländer profitieren besonders von diesen Unterstützungsangeboten.

Die Stiftung hält umfassende Informations-, Beratungs- und Servicedienstleistungen bereit und fördert auch mit finanziellen Mitteln. So werden mit dem Programm „Engagiertes Land“ lokale Zusammenschlüsse bei der Konzepterstellung sowie Umsetzung von eigenen Maßnahmen vor Ort gefördert. Ein „Mikroförderprogramm“ unterstützt unbürokratisch kleine Projekte mit Fördersummen bis zu 2.500 Euro.

Dadurch leistet die DSEE einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Deutschland und stärkt die Orte, in denen Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt erfahren und gefestigt werden können. 
Die Regierungsparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag zudem auf die Neuauflage einer nationalen Engagementstrategie verständigt, die in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und weiteren relevanten Akteuren erarbeitet werden soll. Die strukturellen Besonderheiten in den ostdeutschen Regionen sowie die Erfahrungen der ostdeutschen Zivilgesellschaft bei der Gestaltung von Umbruch- und Wandlungsprozessen werden in die Engagementstrategie Eingang finden.

Extremismusbekämpfung und Demokratieförderung

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke und die Anschläge von Halle und Hanau haben gezeigt: Rechtsextremismus ist eine der größten Gefahren für unsere Demokratie. Es gilt, allen verfassungsfeindlichen, gewaltbereiten Bestrebungen entschieden entgegen zu treten – ob Rechtsextremismus, Islamismus, Verschwörungsideologien, Linksextremismus oder jeder anderen Form des Extremismus. Denn extremistische und terroristische Bestrebungen sowie alle Formen der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das friedliche Zusammenleben substantiell. 

Die Bundesregierung wird in Umsetzung der Vereinbarungen des aktuellen Koalitionsvertrags in einem ressortübergreifenden Prozess eine Gesamtstrategie zur Stärkung der Demokratie und gegen Extremismus erarbeiten. Hierbei gilt es, stets beide Seiten der Medaille zu betrachten: die Stärkung der Demokratie von innen heraus durch demokratisches Engagement, politische Bildung und Prävention auf der einen und wirksame Gefahrenabwehr auf der anderen Seite. Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz und in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung kann der Schutz unserer offenen Gesellschaft gewährleistet werden. 

Die Gesamtstrategie wird strategische Ziele und Schwerpunkte der Bundesregierung für eine starke, wehrhafte Demokratie und offene Gesellschaft sowie gegen jede Form von Extremismus aufzeigen. Sie soll Antworten auf die aktuellen Herausforderungen geben, Instrumente und Lösungsansätze herausarbeiten und deutlich machen, wie diese – auch im Zusammenwirken mit Ländern und Kommunen sowie der Zivilgesellschaft – gestärkt werden können. In diesem Rahmen werden auch die Ende 2020 beschlossenen Maßnahmen des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus weiterentwickelt. 

Am 15. März 2022 hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat zudem einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt, der erste wichtige Schwerpunkte im Kampf gegen Rechtsextremismus in der neuen Legislaturperiode setzt. Die repressiven Maßnahmen umfassen eine verbesserte Entwaffnung von Rechtsextremisten, eine verstärkte Aufklärung der Finanzaktivitäten, um rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, eine konsequente und ganzheitliche Verfolgung strafbarer Inhalte im Internet sowie eine Vereinfachung der Entfernung von Rechtsextremisten aus dem öffentlichen Dienst. Die präventiven Maßnahmen sehen eine Stärkung der politischen Bildung, insbesondere im Umgang mit Verschwörungsideologien vor Ort und im Internet, sowie die Förderung einer demokratischen Streitkultur vor. Daneben werden Angebote zum Ausstieg aus extremistischen Verschwörungsideologien geschaffen. Hinzu kommen Maßnahmen zum Schutz kommunaler Mandatsträgerinnen und Mandatsträger und zur Würdigung der Anliegen von Opfern des Rechtsextremismus. 

Die Bekämpfung von Extremismus, Antisemitismus und Rassismus und der Einsatz für eine offene und vielfältige Gesellschaft bleiben damit auch unter den aktuellen innen- und außenpolitischen Herausforderungen eine gesamtgesellschaftliche und dauerhafte Aufgabe von zentraler politischer Bedeutung. Die Grundpfeiler der Demokratie sind keineswegs selbstverständlich, sie müssen immer wieder von Neuem gestärkt, geschützt und gefördert werden. Denn gesellschaftlich besonders relevante Herausforderungen der jüngsten Zeit wie die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Verbreitung von Hass und ein menschenfeindliches Klima können Radikalisierungstendenzen begünstigen. 

Die Bundesregierung wird ihre bewährten Programme und Maßnahmen im Bereich der politischen Bildung, Demokratieförderung und Extremismusprävention weiter stärken. Darüber hinaus wird sie in Umsetzung des Koalitionsvertrags bis Ende 2023 nach breiter Beteiligung ein Demokratiefördergesetz einbringen, um Projekte der Demokratieförderung, der Gestaltung von Vielfalt und der Extremismusprävention nachhaltig zu unterstützen. Ziel ist es, das demokratische Bewusstsein und die Kompetenz in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Einstellungen zu fördern und konsequent gegen Vorurteile, Ressentiments und Hass einzutreten.

[1] Leseberg, 2022: Sternstunden der Zivilgesellschaft
[2] Bundestagsdrucksache 19/14336.