Rede im Bundestag
Staatsminister Schneider spricht im Deutschen Bundestag zur Aktuellen Stunde zum Thema Industriestandort Ostdeutschland am 30. November 2023.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielen Dank an die Fraktion Die Linke für die Aktuelle Stunde. Allerdings, Herr Pellmann, hätte ich erwartet, dass Sie zum Abschluss Ihrer Fraktionstätigkeit hier im Bundestag doch noch einen Sprung machen, nämlich den Sprung von der langjährigen Opfererzählung, mit der Sie seit Jahrzehnten die Bevölkerung in Ostdeutschland überziehen, hin zu einer Erzählung der Selbstermächtigung, darüber, was auch selbst geschafft wurde, einer Erzählung, die nicht nur davon handelt, Opfer von bösen Mächten geworden zu sein. Das haben Sie leider nicht geschafft. Deswegen will ich – ohne das schönzureden; davon bin ich weit entfernt – hier ein paar Punkte nennen, die für den Industriestandort Ostdeutschland sprechen.
Ich beginne als Erstes damit, dass die Bundesregierung jede Form tarifvertraglicher Bindung unterstützt. Wir unterstützen Unternehmen und Gewerkschaften dabei – ich werde selbst in Espenhain sein –, zu umfassenderen tarifvertraglichen Abschlüssen zu kommen. Wir werden in dem Zusammenhang auch ein Bundestariftreuegesetz einführen. Aber – auch das zum Thema Ermächtigung – es liegt schon an den Beschäftigten, sich selbst zu organisieren, in eine Gewerkschaft zu gehen, für ihre Interessen einzutreten und auch zu streiken. Das können wir als politische Kraft nicht machen. Wir unterstützen aber gern dabei.
Kommen wir zu den Tatsachen hier in Deutschland. Wissen Sie, was 2023 passiert ist? Eine Sensation, hat fast keiner mitgekriegt: In Ostdeutschland gab es mehr Wirtschaftswachstum als in Gesamtdeutschland. Haben Sie das mitgekriegt? Ist so! Das liegt natürlich ganz stark an Brandenburg: 6 Prozent mehr Wachstum als im Jahr davor. Das hängt mit Tesla, der Industrieansiedlung südöstlich von Berlin in Brandenburg zusammen. Wenn Sie die internationale Presse lesen, zum Beispiel die „Financial Times“, dann finden Sie dort, dass die wirtschaftspolitische Landkarte in Deutschland neu gezeichnet wird. Wir haben diese Situation insbesondere dort, wo wir extrem gute Infrastrukturen haben – das ist in Ostdeutschland der Fall –, wo wir gut ausgebildete Beschäftigte haben – Sie haben „Werktätige“ gesagt; auch das zählt –, wo wir eine industriefreundliche Bevölkerung und Verwaltung haben, die Arbeitsplätze im Blue-Collar-Bereich will und auch unterstützt, und – der entscheidende Punkt – wo wir auch genügend Energie aus dem Bereich der erneuerbaren Energien haben, sodass sich dort für die nächsten 50 bis 60 Jahre gut arbeiten lässt. Das ist in Ostdeutschland der Fall; deswegen bekommen wir auch diese Investitionen.
Es ist zum einen Wachstum aus sich heraus. Sie haben die vielen kleinen Unternehmen genannt. Ja, viele davon sind zu klein. Sie müssen wachsen, sie müssen über die Schwelle von 250 Beschäftigten kommen. Daran sind wir in den letzten Jahren sehr oft gescheitert. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir – zum anderen – jetzt auch im hohen Maße große Investitionen anziehen können. Dass die größte ausländische Direktinvestition, die in Deutschland jemals stattfindet, in Ostdeutschland, in Sachsen-Anhalt, in Magdeburg getätigt wird, das ist doch ein Ergebnis, mit dem man sich nicht unbedingt brüsten, aber wofür man wirklich dankbar sein kann; denn es ist eine Auszeichnung für Ostdeutschland, dass sich dieses Unternehmen Magdeburg ausgesucht hat.
Ich will an die Adresse von Sepp Müller und dem Kollegen Schulze sagen: Hier hat vorher ein Kollege der CSU gesprochen, nämlich der Abgeordnete Brehm. Er hat gesagt, die Unterstützung der Bundesregierung für den Osten – das war auch ein bisschen verächtlich gesagt – und für diese Werke befürworte er nicht; er ist strikt dagegen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie es wäre, wenn die Werke in München oder Nürnberg vorgesehen worden wären; da sähe es, glaube ich, anders aus. Aber ich sage Ihnen eines: Klären Sie in Ihrer Fraktion, wie Sie zur Unterstützung strategischer Investitionen für die Erhaltung unserer Souveränität in Deutschland stehen und ob Sie vielleicht einen Ost-West-Bias in Ihrer Fraktion haben. Denn es ist gar keine Ostförderung. Es ist eine Förderung für Deutschland. Sie gilt genauso im Saarland wie in Sachsen oder in Sachsen-Anhalt.
Es ist jetzt mal etwas passiert, was sich pauschal keiner vorstellen kann: Wir sind besser. Die Ansiedlungsentscheidung ist unabhängig getroffen worden. Darauf haben wir keinen Einfluss genommen. Magdeburg war einfach der beste Standort – aus vielerlei Gründen; ich habe sie vorhin genannt. Vielleicht können Sie das zur Kenntnis nehmen.
Zweitens. Ein Industriestandort hat viel mit Energiesicherheit zu tun. Wir haben in diesem Jahr extrem hart daran gearbeitet, dass wir die Energiesicherheit in Deutschland gewährleisten können. Ich bin dem Bundeswirtschaftsministerium mit Michael Kellner und Robert Habeck sowie der FDP mit Herrn Lindner sehr dankbar, dass wir sowohl die Sicherung der bestehenden Energieversorgung haben, aber vor allen Dingen auch den stra-tegischen Ausbau. Da sind wir beim Wasserstoffnetz. Aber ich will erst mal zu aktuellen Punkten kommen. Erstens. Wir haben es geschafft, dass wir ohne russisches Öl auskommen, dass die Schwedter Kolleginnen und Kollegen bei PCK ausgelastet arbeiten. Wir sind somit von Russland unabhängig geworden, ohne dass wir markante Preiserhöhungen oder ein Zurückfahren der Produktion haben. Das alles ist nicht der Fall gewesen. Das ist die Leistung dieser Bundesregierung und der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen.
Zweitens. Entgegen den Stimmen aus der Linksfraktion, der Unionsfraktion und der AfD-Fraktion haben wir ein LNG-Terminal in Mukran auf den Weg gebracht. Es wird Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres in Gang gesetzt. Es wird dafür sorgen, dass wir auch in der Gasversorgung, die für die Transformation der Wirtschaft, den Übergang, extrem wichtig ist, in Ostdeutschland unabhängig sein werden und sogar eine Funktion für Bayern, Österreich, Tschechien, die Slowakei und andere Länder übernehmen können. Wir sind also auch an dieser Stelle unabhängig von Russland. Warum ist das so wichtig? Weil wir souveräne Entscheidungen in Deutschland treffen wollen. Politische Entscheidungen, die Relevanz für Europa, für die Energiepolitik in Deutschland haben, werden in Berlin und nicht in Moskau getroffen, meine Damen und Herren.
Und, ja, Wandel braucht Sicherheit. Unsicherheit ist immer Gift. Geringe Einkommen sind zwar kein Gift, aber es führt zu Unsicherheit, wenn ich am Ende des Monats nicht mehr genügend Geld zur Verfügung habe oder es eng wird. Deswegen sind insbesondere die Energiepreisbremsen für Ostdeutschland und für Menschen, die geringe Einkommen haben – die gibt es auch in anderen Ländern –, besonders wichtig. Dazu gehört aber auch, dass wir zu den Zusagen nicht nur hinsichtlich der Halbleiterindustrie stehen, sondern auch zu den Zusagen zum Wandel in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier.
Ich kann Ihnen sagen, dass sowohl die gesetzliche Verankerung als auch der Wille der Bundesregierung klar ist: Das Mitteldeutsche Revier, die Lausitz werden Zukunftsregionen werden. Wir werden es schaffen. – Ich war vorige Woche mit dem Kollegen Walter und der Kollegin Wallstein vor Ort.
Wir haben dort mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern eine Region erlebt, die im Aufbruch ist. Die Menschen wollen zupacken und sagen nicht: Es wird alles ganz schlimm, wenn der Kohleausstieg umgesetzt ist. – Nein, dann kommt die Hoffnung und der Blick auf die Realität. Zukünftige Investitionen in die Universität Cottbus, aber auch Ansiedlungen in anderen Bereichen der Region werden im Endeffekt dazu führen, dass wir mehr Arbeitsplätze im Bereich der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier haben, als das heute der Fall ist, meine Damen und Herren. So wird das sein.
Dazu gehört nicht nur der Energiebereich, sondern auch der Forschungsbereich. Insbesondere die Investition in das Chemieforschungszentrum mit über 1 Milliarde Euro in Sachsen-Anhalt ist, glaube ich, eine sehr kluge Entscheidung und passt sehr gut zum Industriestandort Sachsen-Anhalt und zu Leuna, Kollege Schulze. Aber auch das Deutsche Zentrum für Astrophysik in der Lausitz wird seinesgleichen suchen. Damit passiert eines: Wir als politische Kräfte entscheiden, in welchen Regionen Wissenschaft und Forschung stattfindet. Woran dort geforscht wird, ist immer noch die unabhängige Entscheidung der jeweiligen wissenschaftlichen Organisation. Die Entscheidung haben sie getroffen. Ich glaube, dass das für die Strukturpolitik mit dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland stilbildend sein kann und auch stilbildend sein sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Unterstützung bei der Etatisierung in den letzten zwei Jahren. Auch den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, der letzte Woche getagt hat, danke ich, insbesondere was das Lausitz Art of Building betrifft, wo energieeffizientes Bauen für die Zukunft erforscht wird. Wir sind in einer schwierigen Zwischenphase; das ist ganz klar. Die Abschwächung der Weltkonjunktur geht auch an uns nicht vorbei. Auch Frankreich hat derzeit ein Minuswachstum. Aber die Zeichen für Investitionsentscheidungen stehen ganz klar auf Grün; sie stehen vorallen Dingen in Ostdeutschland ganz auf Hellgrün. Von daher würde ich mich sehr freuen, wenn Sie uns dabei weiter unterstützen können. Vielen Dank.