Transformation
Wie wirken die Umbrüche von 1989 bis in die Gegenwart nach? Welche Gemeinsamkeiten hatten die Transformationsprozesse in Ostdeutschland mit den Staaten Mittel- und Osteuropas? Wie wirken diese Veränderungen bis heute nach, welche Ambivalenzen und Herausforderungen brachten sie mit sich? Diese Fragen wurden während der internationalen Tagung "1989 und die Zukunft Europas - Ambivalenzen und Herausforderungen demokratischer Transformation in Mittel- und Osteuropa" vom 5. bis 7. Juli in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften diskutiert.
Ausgerichtet vom Imre Kertesz Kolleg der Universität Jena und gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland kamen über drei Tage Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politiker, Vertreterinnen und Vertreter aus Medien und Zivilgesellschaft zusammen, um auf verschiedenen Podien und mit Vorträgen den Systemumbrüchen von 1989 mit Blick auf ihre Langzeitwirkungen bis heute auf den Grund zu gehen.
Die Tagung versuchte, Fehler und daraus resultierende Fehlentwicklungen zu analysieren und daraus den Blick auf die heutige Situation zu lenken. Welche unterschiedlichen Erwartungen bestehen an die Zukunft, wie erklärt sich ein zunehmend autoritärer Populismus in vielen Ländern weltweit, welche Rolle spielen Gewalterfahrungen, welche Bedeutung haben die mit der Wiedervereinigung einhergehenden Umbrüche heute noch, unterschätzen wir noch immer die mit der EU-Ostweiterung in Richtung Osten verschobene politische Tektonik Europas, und vor allem: wohin entwickelt sich Europa nach dem russischen Überfall auf die Ukraine?
Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, in seiner Eröffnungsrede: „Die europäische Tektonik hat sich am 24. Februar 2022 gravierend verschoben. Der barbarische Krieg Russlands gegen die Ukraine bedeutet für Europa eine Zeitenwende. Wir können und werden nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir brauchen Raum für Austausch und für Verständigung. Wie konnte es dazu kommen? Welche Rolle haben wir als Europäer gespielt? Was lernen wir daraus für unsere gemeinsame europäische Zukunft?“.
Fokus auf Systemumbrüchen nach 1989
Die Tagung war ein erster Baustein zum Aufbau des internationalen Netzwerks für das im kommenden Jahr zu gründende 'Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation'. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen Systemumbrüche nach 1989 aus politikwissenschaftlicher, ökonomischer, rechtlicher und kultureller Sicht. Der Blick aus Deutschland wurde ergänzt durch Perspektiven aus Polen, der Ukraine, der Tschechischen Republik, Russland, Frankreich und den USA. Zu den namhaften Diskutantinnen und Diskutanten gehörten Irina Sherbakova (Mitbegründerin von Memorial, Russland), Piotr Stasiński (Gazeta Wyborcza, Polen), Anne Rabe (Schriftstellerin, Deutschland), Michael Werz (Politikwissenschaftler und -berater, USA), Steffen Mau (Soziologe, Deutschland) oder Raphael Gross (Historiker, Deutschland). Kultureller Höhepunkt war die Lesung der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Tanja Maljartschuk, die als im Exil lebende Ukrainerin, nicht müde wird, über ihre Heimat zu schreiben und darüber, was der Krieg mit Menschen anrichtet.
Offener Dialog und Austausch notwendig
Das sich aus den drei Tagungstagen ergebene Bild war komplex, zeigte die Notwendigkeit eines breiten und vor allem langfristigen politischen Herangehens und beförderte ein tiefgreifendes gegenseitiges Verständnis für die aktuellen Herausforderungen Europas. Im Ergebnis zeigte sich, dass ein permanter und offener Dialog, kontroverse Debatten auf historischer Basis, und ein lebendiger und zugewandter Austausch als Grundpfeiler einer funktionierenden und sich immer wieder neu austarierenden europäischen Ordnung zentral notwendig sind. Solche Debatten sollen mit dem Zukunftszentrum einen permanenten Ort bekommen und das Zentrum selbst ein wichtiger Vernetzungspartner insbesondere auch im europäischen Raum mit vergleichbaren Institutionen in anderen Ländern für solche Diskussionen werden.