Ein Tag der Freiheit und Demokratie

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Namensbeitrag in der FAZ am 17. Juni 2023 Ein Tag der Freiheit und Demokratie

Staatsminister Carsten Schneider zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR. 

Foto bei der Demonstration am 17. Juni 1953, russische Panzer fahren durch die Innenstadt

Archivfoto 17. Juni 1953

Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Der Tag der Deutschen Einheit wurde in der alten Bundesrepublik am 17. Juni gefeiert. Er erinnerte an den von sowjetischen Panzern niedergeschlagenen Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 und sollte das Ziel der Wiedervereinigung lebendig halten. Dieses Ziel wurde 1990 erreicht. Seither feiert Deutschland am 3. Oktober den Tag der Deutschen Einheit. Der 17. Juni bleibt jedoch ein Nationaler Gedenktag.


Etwas Paradoxes haftete dem Feiertag am 17. Juni immer an: In dem Teil Deutschlands, in dem der Aufstand stattfand, wurde das Datum aus Angst vor einer Wiederholung meist offiziell beschwiegen. In Westdeutschland, wo man dem Aufmarsch sowjetischer Panzer überall in der DDR nur hilflos hatte zuschauen können, wurde das vergebliche Aufbegehren für Freiheit, Demokratie und deutsche Einheit dagegen in jedem Jahr in Erinnerung gerufen. 


70 Jahre nach der Niederschlagung des Aufstandes ist der 17. Juni 1953 in Ost und West gleichermaßen verblasst. Junge Menschen in ganz Deutschland wissen wenig über die deutsche Teilung, und vermutlich noch weniger über den gescheiterten Versuch, diese Teilung von innen heraus zu überwinden. Einer Befragung im Auftrag der Regierungskommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ zufolge verbanden im September 2020 nur noch 30 Prozent der Befragten den 17. Juni mit der Vollendung der Deutschen Einheit. 


Dabei war der Volksaufstand am 17. Juni 1953 nicht weniger als ein Vorlauf für den Herbst 1989. Er scheiterte nur deshalb, weil die Sowjetunion ihr Imperium mit Panzern sicherte. Die Demonstranten des 17. Juni proklamierten nicht nur bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Von Beginn an ging es auch um freie Wahlen, Bürgerrechte und die Vereinigung des geteilten Deutschlands. Rund 36 Jahre später, im Herbst 1989, vollendete die Friedliche Revolution, was die Demonstrantinnen und Demonstranten im Frühsommer des Jahres 1953 vergeblich gefordert hatten. Das zeigt: Die DDR hatte es nie geschafft, die Mehrzahl ihrer Bürgerinnen und Bürger für sich zu gewinnen. 


Lehren aus der Geschichte ziehen


Vielen Menschen in Deutschland fehlt heute, 70 Jahre nach dem Volksaufstand und 33 Jahre nach dem Ende der DDR, eine eigene Erfahrung mit der deutschen Teilung. In dieser historischen Distanz liegt eine Chance, dem Gedenktag am 17. Juni eine neue Bedeutung zu geben: Wir sollten an diesem Tag die Ursache und die Voraussetzung der Teilung in den Blick nehmen – und daraus Lehren für heute ziehen. 


1990 brach für die Staaten Mittel- und Osteuropas ein Zeitalter der politischen Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit an. Heute werden sie erneut von einer aggressiven Diktatur in Russland und ihrem imperialen Anspruch bedroht. Wieder werden Menschen- und Bürgerrechte mitten in Europa brutal unterdrückt. Auch heute gilt: Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten. Wir sollten den 17. Juni als einen stillen Tag der Mahnung begehen, der uns an den Wert der Demokratie auch für das Zusammenleben der Nationen in Europa erinnert. 


Erinnerung an den Volksaufstand lebendig halten


Das Gedenken an den Widerstand gegen den Stalinismus und die erzwungene Zugehörigkeit zum sowjetischen Imperium gehört heute ins Zentrum der demokratischen Kultur in Europa. Ungarn, Polen, Tschechien oder die Slowakei haben ebenfalls Erfahrungen mit sowjetischen Panzern gemacht, die demokratische Bewegungen unterdrückt haben. Sie teilen auch die Erfahrung des erfolgreichen demokratischen Widerstands gegen die Diktatur mit uns. 
Am 17. Juni sollten sich Menschen in Ost und West, vor allem die jüngeren, damit beschäftigen können, was Stacheldraht und Mauern, Diktatur und ihre Opfer, Reisebeschränkungen und Systemkonfrontation bedeuteten. Er sollte ein Gedenktag sein, der Freiheit und Demokratie in Europa gewidmet ist. Das vereinte Deutschland bringt dabei die Erfahrung ein, über frühere Systemgrenzen hinweg ein Land zusammengeführt zu haben. Es kann deshalb eine Brücke zwischen dem sein, was einst „der Osten“ genannt wurde, und dem Westen unseres Kontinents. 
Wenn in Deutschland heute eine nationalistische Partei den Imperialismus unterstützt und die Demokratie untergräbt, müssen wir sie auch an die Niederschlagung des Volksaufstands durch sowjetische Panzer erinnern. Erneut beansprucht Russland einen imperialen Machtbereich. Es droht der Rückfall in eine Ordnung, in der Europa von brutalen Kriegen zerrissen wurde. 


Ursächlich für Deutschlands Teilung war die nationalsozialistische Diktatur. Die Vereinigung gelang, weil sie von Demokraten im engsten Einvernehmen der europäischen Nachbarn bewerkstelligt wurde. Das demokratische Europa sichert den Frieden des Kontinents. Wir dürfen nicht wieder in die Situation kommen, hilflos bei der Niederschlagung von demokratischen Bewegungen und dem Sturz demokratisch gewählter Regierungen zuschauen zu müssen. 


Der 17. Juni steht für die von einer Diktatur vereitelten Aufstände in Deutschland und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern. Der Tag ist das richtige Datum, sich auf die Solidarität unter Demokratien zu besinnen. Allein, auf sich gestellt, haben es demokratische Bewegungen schwer, sich gegen die Gewalt von Diktatoren, gegen Desinformation, gegen die politische Unterstützung autoritär-populistischer Organisation oder gar die Bedrohung mit Waffengewalt zu wehren. Nur gemeinsam können sie sich behaupten. Erinnern wir uns an den 17. Juni als Gedenktag für Freiheit und Demokratie in Europa. 
 

Der Artikel erschien erstmalig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 17. Juni 2023