„Wir brauchen wieder mehr Interesse und Neugier für- und aufeinander“

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Staatsminister Carsten Schneider spricht vor Publikum

Staatsminister Carsten Schneider im Gespräch

Foto: Bundesfoto/Christina Czybik

Die ostdeutsche Wirtschaft wächst in diesem Jahr, während der Westen schrumpft. Wie wirkt das auf die Stimmung in Ostdeutschland?

Schneider: Es ist schon etwas Besonderes, denn oft wird der Osten als Problem dargestellt, dabei kann er sogar Vorbild für Gesamtdeutschland sein. Wir machen keinen Nachbau West mehr, sondern gehen in vielen Bereichen voran. Das Wachstum kommt durch neue Technologien, etwa der Tesla-Produktion in Brandenburg. Große Investoren wollen dorthin, wo sie schnelle Genehmigungen bekommen, wo sie ausreichend Fläche vorfinden und vor allem wo sie den besten Zugang zu erneuerbaren Energien haben.

Wie wichtig ist der schnelle Zugang zum Ökostrom als Standortfaktor?

Schneider: Das ist einer der wichtigsten Standortfaktoren. Die Main-Linie ist mittlerweile die Grenze für große industrielle Investitionen: nördlich des Mains, in Nord- und in Ostdeutschland, werden neue Industrien aufgebaut. Bayern und Baden-Württemberg haben beim Ausbau der erneuerbaren Energien lange geschlafen, jetzt rächt sich das. Ich finde es gut, dass Ostdeutschland auf der Überholspur ist.

Nun werden noch einmal massiv Subventionen in die Hand genommen: In Dresden und Magdeburg werden neue Chipfabriken mit 15 Milliarden Euro an Steuergeld unterstützt. Warum ist das sinnvoll?

Schneider: Was immer unerwähnt bleibt: Auch im Saarland wird eine neue Chipfabrik subventioniert. Das ist nicht nur regionalpolitisch wichtig. Wir brauchen mehr technologische Souveränität für Europa, also weniger Abhängigkeit von anderen Ländern bei Kernfragen europäischer Sicherheit und strategischen Investitionen. Es wäre schön, wenn es ohne Subventionen ginge, aber dann dürfte sie niemand auf der Welt zahlen. Wir können nicht ausgleichen, was die Amerikaner für ihre Fabriken auf den Tisch legen, müssen aber Schritt halten. Außerdem werden diese einmaligen Investitionszuschüsse zu dauerhaften Steuermehreinnahmen führen.

Lösen diese Milliarden-Subventionen im Osten nicht wieder Neid anderswo aus?

Schneider: Es handelt sich um unternehmerische Entscheidungen für die besten Standorte. Ostdeutschland ist auch ohne Subventionen wettbewerbsfähig: in Dresden ist der Kern und das Ökosystem der deutschen Halbleiterproduktion und in Magdeburg gibt große Flächen und einen Überschuss an erneuerbaren Energien. Außerdem siedeln sich ja auch große Investoren im Saarland oder in Schleswig-Holstein an.

Die Einkommen der Ostdeutschen sind auch 33 Jahre nach der Einheit um elf Prozent geringer als im Westen. Wird es jemals zu einer Angleichung kommen?

Schneider: Regionale Unterschiede wird es immer geben. Mit der Erhöhung des Mindestlohns haben wir nach seiner Einführung einen weiteren wichtigen Schritt getan. Und wir werden eine weitere Lohnangleichung sehen. Es gibt jetzt eine selbstbewusstere ostdeutsche Arbeitnehmerschaft, die sich nicht mehr mit Billiglöhnen abspeisen lässt. Die Fachkräfte sind auch im Osten knapp, Arbeitgeber werden also höhere Löhne zahlen müssen. Aber bei der Vermögensverteilung wird es weiterhin eine große Lücke zwischen Ost und West geben.

Wie könnte man die Vermögensungleichheit verringern?

Schneider: Ich unterstütze die Idee eines Grunderbes: Alle 18-Jährigen sollen bis zu 20.000 Euro als Startkapital vom Staat bekommen.  Finanzieren könnte der Staat das mit einer höheren Erbschaftsteuer für angehende Erbmillionäre. Das würde helfen, die Vermögensungleichheit zwischen Arm und Reich etwas zu verringern.

Wie passt es zusammen, dass die Wirtschaft ganz gut läuft, die AfD aber dennoch in Ostdeutschland Umfrage-Rekorde feiert?

Schneider: Die AfD-Umfragewerte steigen überall in ganz Deutschland. Sie ist sind im Westen nur von einem niedrigeren Sockel aus gestartet. Regional ist die Zustimmung sehr unterschiedlich, in meinem -städtischen- Wahlkreis Erfurt und Weimar kommt die AfD auf keinen grünen Zweig. Wer hier ein Ostproblem konstruiert, macht es sich zu leicht.

Kann der Staat denn so viel leisten, wie manche Bürger es verlangen? Herrscht oft nicht auch eine überzogene Erwartungshaltung an den Staat?

Schneider: Die Menschen dürfen schon einen funktionieren Staat erwarten, der gleiche Lebenschancen ermöglicht. Das ist die Aufgabe aller staatlichen Ebenen. Aber natürlich können wir nicht alle Probleme lösen. Bei mir melden sich übrigens vor allem Unternehmen, die nach staatlichen Hilfen rufen. Wenn jetzt die Apotheker für höhere Honorare streiken, kann ich mich nur wundern. Sie gehören sie schon zum einen Prozent der Höchstverdiener. Natürlich sind die Mittel endlich. Wir müssen Prioritäten setzen.

Die hohen AfD-Umfragewerte, so wird vermutet, haben mit dem hohen Migrationsdruck zu tun. Wenn CDU-Chef Merz sagt, abgelehnte Asylbewerber ließen sich bei uns die Zähne machen: Trägt das zu sinkenden AfD-Werten bei?

Schneider: Im Gegenteil: Er betreibt das Geschäft der Populisten, indem er die Stimmung mit Fake News anheizt. Wir haben natürlich eine große migrationspolitische Herausforderung: Einerseits brauchen wir gezielte Fachkräftezuwanderung und andererseits eine Begrenzung der ungesteuerten und der irregulären Migration. Mit der Einigung in Europa auf ein gemeinsames Asylsystem und den Schutz der Außengrenzen haben wir einen Meilenstein erreicht. Das ist ein großer Erfolg dieser Bundesregierung.

Braucht es eine Brandmauer, eine klare Abgrenzung zwischen der AfD und den demokratischen Parteien?

Schneider: Die SPD kooperiert nicht mit den Feinden der Demokratie. Die Union muss sich entscheiden, ob sie sich mit Stimmen der AfD Mehrheiten im Parlament verschafft, so wie sie das im Thüringer Landtag macht. Es gibt zwar immer mal wieder Bekenntnisse zu einer Brandmauer, aber das muss ja dann auch in der Praxis gelten. Denn die AfD ist eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt, für Stabilität, Fortschritt und Wohlstand in Deutschland. Sie hetzt gegen Minderheiten und gefährdet unsere Zukunft.

Am Dienstag ist Tag der deutschen Einheit, Sie haben einen Bericht vorgelegt. Gibt es daraus auch Positives herauszulesen?

Schneider: Deutschlands Landesteile sind sich viel ähnlicher als angenommen. Nur verkaufen sich Spaltungsthemen einfach zu gut, das Gefühl für die vielen Gemeinsamkeiten geht dabei manchmal verloren. Von Nordrhein-Westfalen aus gesehen liegen Belgien, die Niederlande und Frankreich geografisch näher. Ich wünsche mir deshalb von den Westdeutschen, auch mal in die andere Richtung nach Magdeburg, Bad Frankenhausen, Görlitz, Dessau oder Rostock zu schauen. Leider waren Befragungen zufolge mehr als 20 Prozent der Westdeutschen noch nie im Osten. Wir brauchen wieder mehr Interesse und Neugier für- und aufeinander.


Das Interview erschien am 2. Oktober 2023 in der Rheinischen Post.