„Mukran ist der Schlüssel für eine sichere Gasversorgung für ganz Ostdeutschland“

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Energieversorgung „Mukran ist der Schlüssel für eine sichere Gasversorgung für ganz Ostdeutschland“

Im Interview vom 24. Juli 2023 mit dem Freien Wort Suhl spricht Staatsminister Schneider über die Pläne für das LNG-Terminal auf Rügen.

Staatsminister Carsten Schneider steht an Deck eines Schiffs und lässt sich die Begebenheiten des Hafens Mukran erklären

Staatsminister Carsten Schneider im Hafen Mukran

Foto: Paula Keller

Herr Schneider, der Bundeskanzler hat Ihnen ein Thema zugeschoben, mit dem man nicht wirklich glücklich werden kann: Sie sollen den Menschen auf der Insel Rügen verkaufen, was sie nicht haben wollen – ein LNG-Terminal in Mukran. Ich unterstelle, auch ein Ostbeauftragter kann sich Schöneres vorstellen. Warum machen Sie’s trotzdem?

Man muss sich den Aufgaben stellen. Es hilft ja nicht, sich wegzuducken. Eine sichere Gasversorgung ist für ganz Ostdeutschland wichtig – auch für Thüringen. Dafür ist der Einspeisepunkt Mukran der Schlüssel. Es geht dabei übrigens nicht nur um uns, sondern auch um die Gasversorgung in Tschechien, der Slowakei und Österreich.

Nun ist Rügen ein hochsensibler Ort – eine beliebte Tourismusregion mit sehr viel schützenswerter Natur. Deswegen schlagen die Emotionen hohe Wellen vor Ort und zeitigen massiven Protest. Dennoch streiten Sie unbeirrt für dieses LNG-Projekt. Sie kommen nicht ins Grübeln?

Als sich der Protest formierte, ging es noch um ein anderes Projekt, nämlich um ein Seeterminal unmittelbar vor dem Ostseebad Sellin. Wir haben uns nun für den Hafen Mukran als weitaus bessere Variante entschieden, den ich mir übrigens gerade erst angeschaut habe. Ich bin mit vielen Menschen vor Ort im Gespräch und versuche zu erklären, warum Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat so entschieden haben.

Erklären Sie das mal!

Es gibt kein Gas mehr aus Russland, das in das ostdeutsche Netz eingespeist wird. Die Netze zwischen West und Ost sind kaum miteinander verbunden. Die jetzigen Gas-Einspeisepunkte sind alle im Westen: Die Terminals Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshafen sowie die Pipelines aus den Niederlanden und Norwegen. Das heißt, sollte es im kommenden Winter zu einer Gasmangellage kommen, dann könnte es passieren, dass bei den Glasfabriken im Thüringer Wald das Licht ausgeht. Aus diesem Grund ist das gesamtwirtschaftliche Interesse höher zu bewerten als das regionale Interesse der Rüganer, nämlich kein Schiff vor der Haustür zu haben. Einmal pro Woche wird ein LNG-Tanker in den Hafen Mukran hinein und wieder herausfahren. Das ist ein so geringer Verkehr, dass ich ihn angesichts des Risikos, keine sichere Gasversorgung in Ostdeutschland zu haben, für vertretbar halte. Deswegen streite ich dafür.

Ganz so einfach ist es ja nun nicht. In Mukran muss das Hafenbecken vertieft, entlang der Küste mit seinen Badeorten eine Pipeline in hochsensiblen Gewässern verlegt werden…

Wenn ich die Erkenntnis habe, dass es mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit zu einer Gasmangellage kommen könnte, muss ich alles dafür tun, um ein solches Szenario zu verhindern. Das steht im angemessenen Verhältnis zu den Eingriffen, die es in die Natur geben wird. Es ist richtig, dass auch eine Rohrleitung von Mukran noch Lubmin gelegt werden muss.

Es gibt jede Menge Berechnungen über die Wahrscheinlichkeit einer Gasmangellage im kommenden Winter. Die meisten, ich unterstelle, sie sind seriös, kommen zum Ergebnis: Die Bundesregierung baut mit dem Terminal eine erhebliche Überkapazität auf.

Das sind interessensgeleitete Studien, die von antifossil argumentierenden Wissenschaftlern kommen. Es ist aber richtig: Wir haben einen Puffer und damit eine gewisse Sicherheit im System. Wer auf Kante fährt, kann leicht ins Rutschen kommen. Wir sind als Bundesregierung diejenigen, die entscheiden müssen. Papiere  schreiben sich schnell, wenn man am Ende nicht die Verantwortung dafür trägt, wenn es bei den Menschen zuhause kalt wird. Wenn alles gut läuft, der Verbrauch wieder um 20% sinkt und wir einen milden Winter haben, brauchen wir Mukran nicht. Darauf kann man sich aber nicht verlassen. Wir müssen auch damit rechnen, dass die Gaslieferung von Russland über die Ukraine nach Süddeutschland und Südeuropa im kommenden Jahr ausbleiben. Auch deswegen brauchen wir genügend Sicherheitspuffer im System. Die Bundesregierung holt sich sicher nicht aus Jux und Tollerei den Ärger mit den Bürgern an den Hals. Im Gegenteil. Ich habe mich angesichts der Risiken sehr dafür eingesetzt, dass wir in Ostdeutschland diesen Einspeisepunkt bekommen. Es geht darum, auf der sicheren Seite zu sein.

Wer die Einschätzung der Bundesregierung nicht teilt, wird ohnehin meinen: Was da passieren soll, ist Frevel. Wer ihr folgt, kann dennoch ins Grübeln kommen: Warum muss ausgerechnet dort gebaut werden, wo die Ostseeküste am Schönsten ist und die zu erwartenden Konflikte am größten sind?

Das ist eine berechtigte Frage. Wir haben verschiedene Optionen geprüft. In Lubmin, wo die Nordstream-Pipelines ankommen, befindet sich der zentrale Einspeisepunkt in das ostdeutsche Netz. Dort ist aber die Ostsee nicht tief genug, damit die LNG-Schiffe festmachen können. Im Moment werden sie auf See in kleinere Tanker entladen. Übrigens vor Sellin – und die kleineren Schiffe liegen dann genau in der Binzer Bucht, wenn sie wegen des Seegangs nicht nach Lubmin fahren können. Das wird es in Zukunft nicht mehr geben, weil die LNG-Tanker Mukran direkt anlaufen. Wir versuchen in Gesprächen mit dem Betreiber, die Lärm- und Abgasbelästigung für die Binzer Bucht so klein wie möglich zu halten. Ich halte das für vertretbar.

Kritiker des Projekts argumentieren auch mit einem hohen Gefährdungspotenzial für die ganze Binzer Bucht bei einem Unfall mit oder einem gezielten Sabotage-Akt auf einen LNG-Tanker.

Das ist dieser typische Reflex: Niemand will in seinem Vorgarten irgendeine öffentliche Last haben. Aber wir können kein modernes Industrieland sein, wenn jeder für sich nur eine schöne Aussicht haben will.

Dennoch gab es Alternativen, zum Beispiel Rostock.

Rostock ist der Öl-Anlandehafen für die Raffinerie Schwedt, die einen erheblichen Teil Ostdeutschlands mit Mineralöl versorgt. Es ist aber nicht zulässig, Öl und LNG-Gas gleichzeitig im selben Hafen zu löschen. Man darf auch nicht vergessen: Das ostdeutsche Gasnetz ist mit erheblichem Aufwand und auch mit Eingriffen in die Natur bis nach Lubmin ausgebaut worden. Es wäre kaum vermittelbar, würde man das jetzt nicht auch nutzen.

Dennoch müssen Sie von Mukran bis Lubmin eine weitere Pipeline bauen – durch hochsensibles Gewässer.

Das stimmt, aber auch hier gilt: Voraussetzung für den Bau ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit allen hohen Umweltschutzstandarts, wenn auch in einem verkürzten Verfahren.

Sie sind nun so etwas wie der Vermittler vor Ort. Als unparteiischer Ansprechpartner werden Sie auf der Insel sicher nicht wahrgenommen, schließlich haben Sie im Bundestag ja für den Bau des Terminals gestimmt. Wie sprechen Sie mit Bürgerinitiativen, die bereits über 100 000 Unterschriften gegen den Bau gesammelt haben?

Das Stimmungsbild ist ja differenzierter. Es gibt nicht nur Tourismus und Menschen, die vom Tourismus leben. Es gibt auch die Männer und Frauen auf Rügen, die nicht im Dienstleistungsgewerbe, sondern in der Industrie arbeiten möchten. Ich begleite zum Beispiel das Hafenkonzept in Sassnitz und Mukran. Da geht es zum Beispiel um Kompensationen im Umweltbereich, um den Fernwärmeausbau in diesem Bereich der Insel oder um den vorgezogenen Ausbau der Bahnverbindung von Berlin über Stralsund nach Binz. Das steuere ich jetzt auf Bundesseite aus dem Kanzleramt heraus und bin insofern auch Ansprechpartner für die Insel. Ich weiß, die einen werden das weiterhin kritisch sehen, bei den anderen hoffe ich, dass sie sich auf das Projekt einlassen und wir gemeinsam etwas Gutes daraus machen.

Dennoch ist der Gegenwind enorm: Fast alle Gemeinderäte und Bürgermeister sind gegen das Projekt, dazu viele Einwohner. Es gibt aktive Bürgerbewegungen und auch die Landesregierung in Schwerin will das LNG-Terminal nicht haben. Anders gesagt: Die Bundesregierung macht Politik gegen den Willen vieler Bürger auf der Insel. Ist das ratsam?

Es gibt Leichteres, das stimmt. Aber viele Menschen vergessen: Es wird weniger Schiffsverkehr vor Rügen geben und es wird auch eine wirtschaftliche Perspektive für den Hafen Mukran geben, was wiederum für die Stadt Sassnitz wichtig ist. Das ist doch am Ende auch im Sinne der ganzen Insel.

Sie sind ein Mensch der Kultur. Gibt es da nicht doch einen Moment des Zweifelns, ob man ein solches Projekt in einer solch erstklassigen Kulturlandschaft umsetzen darf?

Das war ja die Abwägung, die wir getroffen haben. Ich halte das für vertretbar. Ich bin mir sicher: Wenn es einmal läuft und man sieht, dass die Anlagen und der Schiffsverkehr gar nicht so groß sind, werden sich viele meiner Meinung anschließen.