Eine Brücke nach Mittel- und Osteuropa

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Impulsvortrag zum Zukunftszentrum Eine Brücke nach Mittel- und Osteuropa

Bei einer Podiumsdiskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin hat Staatsminister Carsten Schneider am 19. März 2024 die Ziele und Aufgaben des Zukunftszentrums in Halle vorgestellt.

Staatsminister Carsten Schneider bei einer Rede im Bundeskanzleramt.

Staatsminister Carsten Schneider bei einer Rede im Bundeskanzleramt.

Foto: Bundesphoto / Christina Czybik

Sehr geehrter Herr Dr. Klose,
sehr geehrte Exzellenzen,
sehr geehrte Frau Prof. Wanka,
sehr geehrter Herr Prof. Baberowski,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Einladung zu dieser Diskussionsveranstaltung zum Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation.
Das Zukunftszentrum kommt nach Halle an der Saale – das wissen wir seit einem Jahr. Und seither haben wir viel bewegt. Mein Team hat unter Hochdruck daran gearbeitet, eine Trägerinstitution zu gründen, den Architekturwettbewerb vorzubereiten und Konzepte vorzubereiten, die ein schnelle Sichtbarkeit des Zentrums nach der Gründung ermöglichen sollen.
2023 war das Jahr, um grundlegende Strukturen zu schaffen, die ab diesem Jahr eine Arbeitsfähigkeit des Zukunftszentrums sicherstellen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist vom BMF das Raumprogramm gebilligt. Der Architekturwettbewerb – der vom Bundesbauministerium verantwortet wird – kann somit starten.
Die Trägergesellschaft steht kurz vor der Gründung und mit der Gründung wird ein Aufbaustab in Halle sichtbar werden. Dieser Stab wird das Zukunftszentrum vor Ort weiter vorantreiben und weitere Projekte realisieren, damit das Zentrum vor der offiziellen Eröffnung noch sichtbarer wird. Dafür ist nicht nur ein öffentlich zugänglicher Show-Room vorgesehen. Auch weitere Kooperationsveranstaltungen, wie sie schon im vergangenen Jahr stattgefunden haben, sind geplant. Dazu werden Partner aus der Stadt, der Wissenschaft, der Kunst- und Kulturszene, der Jugendarbeit und aus dem europäischen Kontext mit ins Boot geholt und am Prozess der programmatischen Ausrichtung des Zentrums weiter beteiligt.

Der Schwerpunkt des heutigen Podiumsgesprächs wird aber auf der Europäischen Transformation liegen. Lassen Sie mich ein paar Gedanken dazu mit Ihnen teilen: Nicht nur Ostdeutschland, auch Mittel-Ost-Europa haben in den Jahren 1989/90 einen grundlegenden Systemumbruch durchlebt. Was dieser Systemwechsel damals bedeutet hat und was er für heute, aber auch für morgen bedeutet, soll einen gewichtigen Teil dessen einnehmen, wofür das Zukunftszentrum steht.
Die gravierende Strukturbrüche der Länder in Osteuropa verliefen anders als in der ehemaligen DDR. Sie hatten auch andere Voraussetzungen. Darauf kann der Dialog mit den mittelosteuropäischen Ländern aufbauen, ebenso wie mit den Besucherinnen und Besuchern des Zentrums.
Für unser Verständnis und die inhaltliche Ausgestaltung des Zentrums ist es wichtig, mit den Partnern in Mittel-Ost-Europa zu sprechen und sie zu verstehen. Seit meinem Amtsantritt habe ich viele gute Gespräche mit Vertretern aus Regierungen, Wirtschaft und Wissenschaft geführt. Ich war in Polen, in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn, und ich will dieses Jahr auch die baltischen Staaten noch besuchen. Ich wollte erfahren, was wir in Zukunft anders machen müssen. Wo wir den Dialog und den Kontakt miteinander vertiefen müssen.

Dieser Austausch hat mich und mein Denken bereichert. Zwischen den Erfahrungen der Ostdeutschen und der Menschen in Mittel- und Osteuropa gibt es jede Menge Gemeinsamkeiten. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Transformationszeit der 90er. Und doch hat jedes Land, jede Person eine eigene Geschichte und eigene Erfahrungen. Das zeigt uns: Wenn wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen wollen, müssen wir die Geschichte differenziert betrachten.
Gleichzeitig geht es immer, wenn ich mit Vertretern dieser Länder rede, vor allem um Zukunft. Um die Zukunft des Verhältnisses von Deutschland zu Mittel- und Osteuropa. Um Deindustrialisierung, um Energiepolitik, um Demografie und um soziale Themen. Vor dem Hintergrund der ähnlichen Erfahrungen geht es um das Heute. Und mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Frage nach der deutschen Rolle in Zentraleuropa noch einmal dramatisch verändert.

Deutschland muss diesen Ländern auf Augenhöhe begegnen und die Partnerschaften vertiefen. Dafür ist ein regelmäßiger Austausch wichtig, der Vertrauen aufbaut. Wir haben gemeinsame Herausforderungen, aber wir müssen sie auch wirklich gemeinsam angehen oder zumindest verstehen, wo Unterschiede existieren.
Der politische, ökonomische und kulturelle Strukturwandel verlief jeweils anders, im Osten disruptiv, im Westen schleichend über Jahrzehnte, in Osteuropa sehr vielfältig und auch mit hohen sozialen Kosten. Diese Transformationen sind überall noch heute spürbar und häufig Ursache von staatskritischen Haltungen, fehlendem Selbstbewusstsein und mangelndem Zutrauen in gesellschaftlichen Fortschritt.

Das Zukunftszentrum muss eine Plattform sein, diese Erfahrungen zu zeigen, zu beforschen, zu diskutieren und nach vorn zu wenden. Es muss für eine deutlich stärkere Hinwendung Deutschlands zu den mittel- und osteuropäischen Staaten stehen. Um es klar zu sagen: Ich erwarte da eine aktive Rolle und eine ganz enge Kooperation mit Partnerinnen und Partnern in diesen Ländern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
im Zukunftszentrum setzen die Verknüpfung verschiedener Zielgruppen – insbesondere mit jungen Menschen bis 35 Jahren –, der Blick auf Ost und West sowie die Verbindung mit Mittel-Ost-Europa ein hohes Maß an integrierter Arbeit voraus. Die Wissenschafts-, Ausstellungs- und Dialogbereiche dürfen daher nicht getrennt voneinander agieren. Hier soll kooperiert und wechselseitig inspiriert werden. Die drei Säulen dürfen nie aneinander vorbei arbeiten. Im Gegenteil: Die zentrale Herausforderung für die spätere Intendanz wird die Verschränkung aller drei Bereiche sein.Dazu gehört dann zum Beispiel auch, dass wir den Wissenschaftsbereich neu denken müssen. Das darf kein Elfenbeinturm werden. Wir brauchen eine dynamische Struktur, ein permanentes Kolleg sowie Fellows, die immer neue Fragestellungen und Perspektiven einbringen.

Das Zukunftszentrum ist Schaufenster und Denkraum in einem. Es soll eine Wissensmaschine und eine Diskursmaschine sein. Kunst und Kultur und Dialog sind gleichberechtigt zur Forschung. Die Bereiche fordern und inspirieren sich gegenseitig. Dazu gehören innovative, partizipative Formate, auch für bildungsbenachteiligte Zielgruppen.
Was das Zentrum am Ende tatsächlich jenseits dieser doch eher abstrakten Beschreibungen wird, welche Rolle es im öffentlichen Diskurs wirklich spielt – das wird sich mit den ersten und folgenden Projekten ergeben.

Ich bin mir aber sicher, es wird eine wichtige Rolle spielen und eine starke Stimme sein, sowohl im innerdeutschen Diskurs, als auch in einem sich neu organisierenden Europa. Das Zentrum wird eine selbstbewusste Stimme Ostdeutschlands sein, und damit Deutschland und Deutschlands Rolle in Europa schärfen. Das Zentrum darf Debatten nicht nur aufgreifen, sondern muss den Anspruch haben, Debatten anzustoßen.   

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die ganz unterschiedlichen und spezifischen Perspektiven, aus den Umbruchsjahren vor und nach 1989, und zwar besonders in Ost aber auch im Westen, ergeben am Ende ein geeintes Deutschland. Und ein einiges Deutschland braucht es, um ein einiges Europa gemeinsam mit unseren Partnern in den mittel- und osteuropäischen Staaten zu schaffen.

In diesem Jahr jähren sich zahlreiche Ereignisse des Systemumbruchs von 1989 zum fünfunddreißigsten Mal:
- Ob die Wiederzulassung der Solidarność in Polen im April 1989,
- die Demontage von Stacheldraht und Signalanlagen in Ungarn im Mai 1989,
- das paneuropäische Picknick verbunden mit einer Massenflucht bei Sopron in Ungarn im August 1989,
- die erste Montagsdemonstration in Leipzig im September 1989
oder
- die Samtene Revolution in Prag im November 1989
Der Blick zurück ist unerlässlich, aber er soll uns auch lehren, dass wir auf ein gemeinsames europäisches Erbe schauen und damit in die Zukunft blicken.
Krieg, Inflation, Klimakrise – das alles macht Angst. Natürlich. Aber wir können produktiv mit dieser Angst umgehen. Wir brauchen wieder mehr Zukunftsoptimismus und Hoffnung. Gerade heute. In meinen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Mittel- und Osteuropa spüre ich immer wieder, dass es diesen Zukunftsoptimismus noch gibt. Europa ist vielfältiger, vor allem aber vielstimmiger geworden. Deutschland kommt in Zukunft mehr denn je eine Brückenfunktion zu. Die Dichotomie zwischen Ost- und Westeuropa bildet sich – begründet durch Teilung und Wiedervereinigung – auch im inneren Erfahrungsraum Deutschlands ab. Ostdeutschland kann die Brücke zwischen Westeuropa und den Ländern Mittel- und Osteuropas sein.
Und Deutschland selbst wird sich mehr als ein einiges wahrnehmen und einig werden, wenn es sich mit seiner zentralen Rolle in Europa und im Verhältnis zu Osteuropa offensiver auseinandersetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Das Zukunftszentrum muss bis zur Eröffnung ein offener Prozess sein, der mit Fragen, Probebühnen, Neugier, Dialog und ersten Projekten bis zu seiner Eröffnung die inhaltliche Konzeption, den Anspruch einer permanenten Aktualität und damit die Frage nach Relevanz und Attraktion weiterentwickelt. Wir wollen voneinander wissen, uns zuhören, streiten, aber Respekt voreinander und den Erfahrungen des anderen haben, wenn wir um aktuelle Themen ringen. Ich bin mir sicher, die Erfahrungs- und Meinungsunterschiede zwischen Ost und West gehen uns auch in aktuellen Debatten nicht aus.
Die Herausforderung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zwischen Ost und West und in Europa für eine Stärkung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu festigen war in den über 30 Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung selten größer.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, braucht eine permanente Reflexion aktueller Veränderungen, und einen offenen und unvoreingenommenen Diskurs und Dialog ohne Ressentiments. Das zentrale Versprechen des Zukunftszentrums ist eine in die Zukunft gerichtete Transformationsorientierung und eine dezidiert mittel- und osteuropäische Ausrichtung. Die unmittelbare Einbindung der vielfältigen, zum Teil kontroversen west- und ostdeutschen Perspektiven und der unterschiedlichen Entwicklungswege in den mittel- und osteuropäischen Ländern ist daher unabdingbar. Das Zukunftszentrum soll natürlich nicht alle politischen Probleme des wiedervereinigten Deutschlands und der Transformation lösen. Aber je mehr die Folgen der Wiedervereinigung und reale oder vermeintliche Unterschiede zwischen Ost und West, Deutschland und Europa wieder in den Fokus rücken, desto mehr braucht es diese Einrichtung, die sich genau diesen Fragen widmet und sie zum Positiven, in die Zukunft wendet.  

Genau dafür gründen wir das Zukunftszentrum, um diese Unterschiede produktiv zu machen für unser zukünftiges demokratisches Zusammenleben.  
Vielen Dank!