Regionalentwicklung in den ostdeutschen Kohleregionen

Blick auf ein Kohlekraftwerk

Braunkohlekraftwerk

Foto: Ostkreuz (Anja Lehmann)

Die Abkehr von der Braunkohle ist aus Klimaschutz-Gründen wichtig, aber die Menschen in den Revieren verdienen volle Unterstützung. Dabei sollten wir nicht über sie reden, sondern mit ihnen. Deshalb haben wir direkt in Cottbus ein Kompetenzzentrum für Regionalentwicklung gegründet, das gemeinsam mit den Menschen vor Ort neue Zukunftsperspektiven erarbeiten soll. Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen

In Ostdeutschland befinden sich mit dem Lausitzer und dem Mitteldeutschen Revier zwei der drei Regionen, in denen noch Braunkohle abgebaut wird. 3,2 Millionen Menschen leben hier – immerhin ein Viertel der ostdeutschen Bevölkerung (ohne Berlin). Mit der Energiewende und dem Ausstieg aus der Kohleverstromung stehen diese Regionen vor besonderen Herausforderungen des Strukturwandels. Deshalb wollen Bund und Länder die beiden ostdeutschen Reviere sowie das Rheinische Revier bei der anstehenden Transformation von Wirtschafts-, Siedlungs- und Infrastrukturen so unterstützen, dass ein nachhaltiger Wandel hin zu zukunftsfähigen und attraktiven Räumen gelingen kann.

Das Kompetenzzentrum Regionalentwicklung des BBSR

Mit dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen vom August 2020 stellt der Bund nicht nur Finanzhilfen für eine verbesserte Infrastruktur der Reviere bereit, sondern fördert auch Projekte und Ansiedlungen im Bereich Bildung und Forschung. Eine dieser Maßnahmen ist das Kompetenzzentrum Regionalentwicklung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Es wird seit Ende 2021 mitten im Lausitzer Revier in Cottbus neu aufgebaut. Damit verfügt das BBSR als Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) neben Bonn und Berlin nunmehr über einen dritten Standort. Bis Ende 2023 werden 56 Beschäftigte ihre Tätigkeit aufnehmen.

Leitgedanke dabei ist, nicht über die Menschen zu reden, sondern mit ihnen. Das Kompetenzzentrum für Regionalentwicklung (KRE) in Cottbus wird sowohl wissenschaftlich als auch praktisch arbeiten, um Zukunftsperspektiven für die Regionen zu entwickeln, die durch die Energiewende besonders herausgefordert sind.

Die Karte illustriert die Verteilung der Braunkohlereviere in Deutschland

Braunkohlereviere in Deutschland

Foto: BBSR Bonn

Das KRE analysiert dabei zum Beispiel die Ausgangssituation der Regionen und ihre Entwicklung im Zeitverlauf. Es führt Vergleiche der Reviere untereinander, aber auch mit anderen Regionen in Deutschland und Europa durch. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kooperieren zudem eng mit den regionalen Akteuren in Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um sie bei der Gestaltung des Transformationsprozesses zu unterstützen. Gemeinsam werden Projekte, Modellvorhaben und Lösungsansätze zur Förderung des Strukturwandels entwickelt. Auf diese Weise unterstützt das KRE auch die Vernetzung und das Voneinanderlernen. Für all dies steht das Prinzip „Forschen durch Fördern“. 

Wie kann der Strukturwandel verträglich und nachhaltig gestaltet werden? 

Beschäftigungssicherung und Förderung wirtschaftlichen Wachstums in den Revieren sind zentrale politische Ziele des Bundes und der Länder. Die Kohlewirtschaft in den ostdeutschen Revieren zählt heute ca. 9.400 Beschäftigte. Aber auch über Kraftwerke und Tagebaue hinaus prägt die Kohle vielfach noch die regionale Identität und Wahrnehmung. Entscheidend ist daher, dass der Strukturwandel in seiner gesamten Dimension wahrgenommen und gefördert wird. Dabei werden auch ökologische Bedingungen nicht außer Acht gelassen, etwa die Wirkungen des Wandels auf den Wasserhaushalt. Große Bedeutung haben ebenso Fragen der Daseinsvorsorge und soziokulturelle Aspekte, die dabei helfen können, neue regionale Identitäten jenseits der Kohle zu erzeugen. Für diesen Zweck arbeitet das KRE eng mit den Revierbeauftragten sowie den Landes- und Regionalplanungen zusammen. 

Mit dem „Raumpaten-Ansatz“ verfolgt das KRE das Ziel, konkret vor Ort in den Revieren zu wirken. Im Sinne einer nachhaltigen Raumentwicklung sollen ausgewählte Teilräume, die besondere Entwicklungsherausforderungen aufweisen, durch Forschung und Beratung unterstützt werden. Raumpatinnen und Raumpaten des BBSR werden gemeinsam mit den lokalen Akteuren geeignete Projektideen entwickeln und umsetzen. Das KRE arbeitet somit als Schnittstelle zwischen Forschen und Fördern und fungiert als Mittler zwischen Zivilgesellschaft, Kommunen, Regionen, Ländern und Bund. Schon jetzt unterstützt das KRE die Kohleregionen mit Informationen zu Förderaufrufen des Bundes und begleitet erste Städte und Gemeinden bei der Qualifizierung von Anträgen für Programme des BMWSB

In einem Pilotvorhaben im Lausitzer Revier werden einzelne Gemeinden genauer in den Fokus genommen, die direkt durch den Kohleausstieg und durch besondere wirtschaftliche, raumstrukturelle und planerische Veränderungen betroffen sind. Das KRE kann dabei in einem von unterschiedlichen Ansprüchen an den Raum geprägten Spannungsfeld informieren und unterstützen. Im Umkehrschluss ist der unmittelbare Zugang zur Region und den Akteuren wichtig für die Forschung des KRE: Dies berührt unter anderem Themen wie die Strategien von Kommunen im Strukturwandel und ihre Handlungsfähigkeit, die Veränderungen von Siedlungs- und Landschaftsstrukturen, das Ansiedlungsgeschehen oder Fragen des sozialen Zusammenhalts. Das Pilotvorhaben wird auch Grundlagen für die Übertragung von Erkenntnissen auf andere Kommunen und Regionen liefern. 

Wie kann der Strukturwandel breite gesellschaftliche Unterstützung finden?

Ob sich die bisherigen Reviere zu neuen attraktiven Wirtschafts- und Wohnstandorten entwickeln werden, ist nicht nur eine Frage von Strukturen, sondern hängt in erheblichem Maße davon ab, auf welche Weise die Bevölkerung sich in den Prozess einbringt und diesen mitgestaltet. Ein Kernanliegen des KRE ist daher, aktiv auf die Zivilgesellschaft zuzugehen. Dabei sollen auch jene mit „ins Boot“ geholt werden, die der Entwicklung bislang noch skeptisch gegenüberstehen oder die – wie etwa ältere Menschen – mit ihren Potenzialen und Erfahrungen im Strukturwandel noch nicht ausreichend wahrgenommen werden. Das KRE verfolgt damit das Ziel, die gesellschaftliche Akzeptanz für den Kohleausstieg zu stärken und einen konstruktiven Dialog aufzubauen. Neben weiteren Vorhaben, wie einer öffentlichen Veranstaltung mit „Botschafterinnen und Botschaftern“ des Wandels oder einer Fotodokumentation der Veränderungen, lobt das BBSR einen Ideenwettbewerb aus. 

Ziel des Ideenwettbewerbs „Mitmachen, gemeinsam machen: Wir gestalten den Strukturwandel in unserer Region“ ist es, besonders innovative und kreative Ideen der Menschen vor Ort selbst mit Bezug zum Transformationsprozess in den Braunkohleregionen auszuzeichnen. Damit sollen konkrete Impulse zur Verbesserung der Lebensqualität vor Ort und zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gesetzt werden. Zielgruppe sind Akteure aus der Zivilgesellschaft, kommunale Verwaltungen sowie öffentliche und freie Träger mit Ideen unter anderem aus den Bereichen Bildung und Beschäftigung, zivilgesellschaftliches Engagement, Daseinsvorsorge, ökologische Nachhaltigkeit, Zwischennutzungen für die Gestaltung von Tagebaurandflächen sowie Tourismus-, Kultur- und Kreativwirtschaft. Begrüßt werden auch Vorschläge zur Initiierung und Realisierung von regionalen, nationalen und internationalen Partnerschaften zwischen Kommunen, die vom Kohleausstieg geprägt sind. Um den vielfältigen Perspektiven Rechnung zu tragen, ist der Wettbewerb aber bewusst themenoffen und das Verfahren niederschwellig angelegt. Das KRE gewinnt dadurch wertvolles Wissen über die Bewältigung der Transformation auf kleinräumiger Ebene. Dies hilft bei der Entwicklung bedarfsgerechter Beratungsstrategien. Zudem ist beabsichtigt, ausgewählte Konzepte bei ihrer Realisierung zu begleiten.

Wie kann ein gutes Verhältnis von Stadt und Land gestärkt werden?

Die Braunkohlereviere sind keine in sich homogenen Regionen und unterscheiden sich auch im Vergleich erheblich voneinander: Die weitgehend ländlich geprägte Lausitz bildet einen Kontrast gegenüber dem Mitteldeutschen Revier mit Leipzig und Halle als urbanen Zentren. Das KRE wird das Verhältnis von Stadt und Land und die Entwicklung von Raum- und Wirtschaftsstrukturen in den Revieren weiter untersuchen. Dazu gehören gerade für die Lausitz auch die Verknüpfungen in die polnischen und tschechischen Nachbarregionen.

Der Bund engagiert sich in diesem Zusammenspiel städtischer und ländlicher Räume durch eine Vielzahl von Programmen und Initiativen und auch durch die Ansiedlung von Arbeitsplätzen in eigenen Behörden und Einrichtungen. Damit Ansiedlungen in ländlichen bzw. strukturschwachen Räumen gelingen und sich Mitarbeitende dauerhaft niederlassen, gibt es vielfältige Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaftsstandorte und des Lebensumfelds. Das KRE begleitet diese Fragen nicht nur analytisch, sondern arbeitet beispielsweise daran, sich mit Rückkehrerinitiativen in Ostdeutschland zu vernetzen, um über attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten zu informieren. Zudem bringt es sich in das Format „Students on Tour“ der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg ein, um sich selbst und weitere Einrichtungen des Bundes als attraktive Arbeitgeber vorzustellen.
Im Auftrag des Bundeskanzleramtes und des BMWSB wirkt das BBSR mit seinem Kompetenzzentrum Regionalentwicklung momentan auch an den Vorbereitungen zur Gründung des „Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ (ZET) mit. Diese Einrichtung soll an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kultur und Dialog/Begegnung wirken und ihren Standort in einem der fünf ostdeutschen Bundesländer finden. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) koordiniert das KRE aktuell den Standortwettbewerb unter interessierten Kommunen. Auch in inhaltlichen Fragen wird das KRE eng mit dem ZET zusammenarbeiten. Beide Einrichtungen befassen sich mit verschiedenen Facetten der Transformationsprozesse in unserer Gesellschaft. 

Eine zeitgemäße Ressortforschung für die regionale Transformation

Die Förderung des Strukturwandels in den Braunkohleregionen ist damit Ausdruck eines umfassenden gesellschaftlichen Handelns zur Umsetzung der Energiewende in Deutschland und die Transformation kann zugleich zur Verringerung von regionalen Struktur- und Entwicklungsunterschieden beitragen. Das Kompetenzzentrum Regionalentwicklung des BBSR zeichnet sich durch eine transdisziplinäre Arbeitsweise aus, verbindet Expertise verschiedener Fachrichtungen, fördert die Zusammenarbeit und den Austausch der Akteure und bringt sich integrierend, koordinierend und moderierend in den Prozess ein. Dabei erlauben die Ausrichtung und Ausstattung des Zentrums eine langfristig orientierte wissenschaftliche Begleitung und praxisnahe Unterstützung des Strukturwandels.