Medienarbeit in einer polarisierten Öffentlichkeit

Carsten Schneider

Foto: Bundesfoto/Christina Czybik

Pressefeindlichkeit ist vor allem ein ostdeutsches Phänomen. Die kollektive Erinnerung und die Diktaturerfahrung der DDR-Zeit, in der Medien als staatliches Machtinstrument missbraucht wurden, sind die Hauptgründe für diese Entwicklung. Ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Institutionen und Medien ist typisch für Ostdeutschland. Im Westen gibt es zwar auch Kritik an der Presse, aber das ist gesund in einer Demokratie und nicht grundlegend.

So oder so ähnlich hört man es oft, wenn es um Erklärungen für das vermeintlich wachsende Medienmisstrauen geht, besonders von Kollegen im Westen. Es ist eine Art Selbstvergewisserung: „Drüben“ ist es problematisch, aber hier, „bei uns“, sind die Fundamente noch in Ordnung. Es gibt ohnehin genug Krisen, um die man sich sorgen muss: erodierende Erlösmodelle von Verlagen, künstliche Intelligenz, Plattformkonzerne mit medialen Allmachtsfantasien, den Klimawandel. Kein Handlungsbedarf also, es handelt sich um ein Phänomen, das mit zeitlichem Abstand zur Existenz der DDR und der Erinnerung daran abschmilzt.

Stimmte dies, wäre das sicher beruhigend. Zumindest aus Westperspektive. Doch entspricht eine solche Analyse den Tatsachen? Ein oberflächlicher Blick scheint diese Sichtweise zunächst zu bestätigen. Zahlen der Langzeit-Medienvertrauensstudie der Uni Mainz etwa belegen, dass das Vertrauen der Befragten aus den ostdeutschen Bundesländern stets knapp unter de Mittelwert lag. Gleichzeitig wiesen westdeutsche Befragte durchgängig ein höheres Medienvertrauen auf. Prima, Weltbild bestätigt. Befund: Der Osten ist das Problem.

Aber die Wirklichkeit ist komplexer. Die Forscher betonen, dass die „Unterschiede äußerst gering und für die einzelnen Stichproben nicht signifikant“ seien. Ja, aber wenn es nicht an der Geografie liegt, woran dann? „Zunächst fällt ins Auge, dass Befragte, die eine vergleichsweise hohe Zufriedenheit mit ihrer wirtschaftlichen Situation angaben, insgesamt ein höheres Medienvertrauen aufwiesen.“ Lautet die Antwort auf die Frage am Ende wieder: „It’s the economy, stupid“, wie Bill Clintons Wahlkampfstratege James Carville einst treffend analysierte?

Wer das Phänomen Medienfeindlichkeit durch die Brille der ökonomischen Gegebenheiten betrachtet, erblickt ein differenzierteres Bild, als es die Ost-West-Dichotomie darstellt. Auf einmal scheint das Medienvertrauen dort höher zu sein, wo die Menschen relativen Wohlstand genießen. Das lässt sich nicht mehr auf einer Ost-West- Landkarte abtragen. Auch die Erwartung an die wirtschaftliche Entwicklung spielt eine Rolle. Die ist im Osten meist pessimistischer.

Nicht ganz zu Unrecht, wie jüngst die Debatte um zu streichende Fernverbindungen der Bahn zeigte, die vor allem in Ostdeutschland Halte streichen will. Aber auch im Westen fühlen sich etliche Regionen abgehängt, auch dort gibt es Orte, an denen Vertrauen in Institutionen und Medien erodiert. Ökonomie als entscheidender Faktor zur Erklärung von Pressefeindlichkeit aber scheint nicht auszureichen.

Mit dem Aufkommen der Pegida-Demonstrationen in Ostdeutschland bekam eine latente Pressefeindlichkeit eine neue, quasi-institutionelle Plattform.

Diese Entwicklung wurde zunächst von vielen Kollegen nicht wahrgenommen oder ignoriert, später oft als regionale, ostdeutsche Besonderheit abgetan. Bedrohung, Angriffe auf Lokaljournalisten? Für viele Kollegen in ländlichen Bereichen westdeutscher Bundesländer war das kein realistisches Lagebild.

Dann kam Corona, und vieles änderte sich. Eine wirkmächtige Plattform für Verschwörungsgläubige, Querdenken, hatte ihren Ursprung gerade nicht in Ostdeutschland, sondern in Baden-Württemberg. Dem Wohlstandsbundesland, wo der „German Dream“ aus einem Versprechen des stetigen Wohlstands unter der Bedingung des fortdauernden Fleißes besteht – „Schaffe, schaffe, Häusle baue“. Doch wie wurde das Freilichtmuseum des gehobenen Mittelstands zu jenem Biotop, in dem Verschwörungsgläubige eine Bewegung gründeten, die sich neben der Wahrheit vor allem die Presse als Feind aussuchte? Niemand käme hier auf die Idee zu sagen: Schwaben und Badener sind halt so.

Nun, egal, wo es herkommt, das Problem ist nun da. Es ist gekommen, um zu bleiben. Denn auch wenn Querdenken als Bewegung kaum noch eine Rolle spielt, das Erbe dauert fort. „Lügenpresse“- Rufe sind bundesweit so salonfähig geworden, dass empörte Aufschreie ob dieser Dämlichkeit mittlerweile regelmäßig ausbleiben.

Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) hat darauf hingewiesen, dass Lokaljournalisten wegen ihrer fehlenden Anonymität stärker von Angriffen betroffen sind. Das ist doppelt brisant. Einerseits für die Kollegen. Andererseits sorgt dies für weiteren Druck auf den Lokaljournalismus, der sowieso unter Druck steht. Rückgang der Print-Abos, sinkende Erlöse, aber keine flächig tragfähigen Modelle der Monetarisierung digitaler Angebote und nun auch noch Hass, Hetze, Häme gegen Lokaljournalisten?

Weiße Flecken auf der Landkarte bei professionellen lokalen Medienangeboten führen, wie wir aus Studien wissen, zu geringerer Partizipation, geringerer Wahlbeteiligung, aber höheren öffentlichen Ausgaben und Korruption. Journalismus ist kein Selbstzweck, sondern eine Dienstleistung für demokratische Gesellschaften, eine tragende Säule der Demokratie. Fällt sie weg, ändert das die Gesellschaft. Wieder einmal ist es der Osten, in dem solche weißen Flecken in Deutschland zuerst auftauchen.

Doch mehr: Rechtsextreme Akteure, ob in den Parlamenten oder außerhalb, feuern ein aggressives Klima gegenüber Medienschaffenden an. Mittendrin die AfD, die „etablierte“ und „Mainstream-Medien“ nicht nur zu ihren Lieblingsfeinden zählt, sondern diese auch als Projektionsfläche benötigt, um eigene Verschwörungsnarrative an den Wähler zu bringen.

Und schon wieder der Osten: Im „Superwahljahr“ dreht die AfD weiter auf. Vor Landtagsund Kommunalwahlen im Osten steigt die Zustimmung für die in einigen Bundesländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei, die Europawahl zeigt eine zweigeteilte Landkarte, der Osten färbt sich AfD-blau, der Westen CDU-schwarz. Aber auch die Medienfeindlichkeit spitzt sich derweil zu. „Was wäre, wenn“, ist ein oft gehörter Spruch derzeit an jenen Orten, die sich über Medien und ihre Zukunft Gedanken machen; was wäre, wenn die AfD in einem Bundesland in der Regierung säße? Was wäre, wenn ein Ministerpräsident den Medienstaatsvertrag kündigte – was in einigen Ländern tatsächlich ohne Kabinettsbeschluss möglich ist? Was, wenn die AfD die Kompetenz der Länder für die Medienpolitik schamlos ausnutzte? Was, wenn zumindest medienkritische Kräfte wie das BSW, die gerade im Osten wohl relevante Rollen einnehmen werden, nicht im Traum daran denken werden, sich gegen die Anti-Medienpolitik der AfD zu stemmen, weil sie die Fundamentalopposition zu „etablierten“ Medien teilen? Kräfte an den Rändern des politischen Spektrums faseln etwas von „verengten Debattenräumen“, meinen damit aber eigentlich, dass ihre eigene Meinung, oft genug auch Desinformation und Propaganda, nicht die allein den medialen Raum dominierende ist – was für ein verqueres Verständnis von Pressefreiheit!

Da ist er wieder, der Sorgen-Osten, auf den nun alle blicken. Ist der Osten am Ende ein Problem-Seismograf für ganz Deutschland? Vielleicht ist auch dieser Blickwinkel wieder unterkomplex. Denn: All diese Entwicklungen gibt es auch an anderen Orten in Deutschland – nur (noch) nicht so stark ausgeprägt wie jenseits der Elbe. Die AfD, so zeigen die jüngsten Wahlen, ist eben keine ostdeutsche Regionalpartei. Ein blau gefärbter Osten täuscht darüber hinweg, dass sich diese Partei sehr wohl auch im Westen als starke politische Kraft gezeigt hat.

Die Gretchenfrage ist nun: Was tun? Für jene, die in den Medien arbeiten, eine komplizierte Frage. Sie stellt sich in jeder Redaktionskonferenz. Wie behandelt man medial jene, die Medien (und Demokratie, wie wir sie kennen) infrage stellen?

Es ist wie das von Karl Popper beschriebene Toleranz-Paradoxon, auf die Medien übertragen: Müssen Medien tolerant gegenüber jenen sein, die sich einem rationalen Diskurs verweigern, und sie dann auch zu Wort kommen lassen, ihnen eine Bühne bieten? Oder einfach ausgedrückt: Müssen wir Journalistinnen und Journalisten den Kakao, durch den wir gezogen werden, auch noch austrinken?

Das Beispiel des Rededuells eines CDU-Landespolitikers mit dem Chef seines nachgewiesen rechtsextremen AfD-Landesverbands im Fernsehen ist ein Beispiel für diese Frage. Oder ist dies der Weg in die „False Balance“, die das Publikum dazu verleiten könnte zu glauben, zwei Ansichten seien gleichwertig, obwohl eine davon nachweislich Quatsch oder gar böswillige Manipulation ist?

Fragen, aber wenig Antworten. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte sich bereits im Vorfeld zur Europawahl positioniert. Sollte der Verfassungsschutz zu der Erkenntnis kommen, dass die AfD gesichert rechtsextrem sei, so müssten Journalisten vor Aussagen, die sie wiedergeben, eine Art „Warnzettel“ wie auf Zigarettenpackungen schreiben.

Es ist eine Form der Einordnung, die Journalisten in der Corona-Zeit gelernt haben: Desinformation nicht einfach wiedergeben, sondern kontextualisieren, im „Truth Sandwich“ etwa, schmackhaft eingepackt für die Leserin oder den Leser in eine Einordnung und nicht einfach wiedergegeben. Ein Rezept immerhin, um die Debatte wieder auf Kurs zu bringen und Vertrauen zu schaffen. Und es gibt eine Nachricht aus der Forschung, die einen Hebel bietet für die Zukunft: Je mehr Menschen Journalismus nutzen, umso mehr vertrauen sie ihm auch.

Nachrichten- und Medienkompetenz also sind es, die wir fördern müssen. Den Mehrwert betonen, den Journalistinnen und Journalisten leisten für eine demokratische Gesellschaft. Voraussetzung aber ist, dass es künftig auch flächendeckend Angebote von Qualitätsjournalismus gibt. Aber wie gewinnen wir Nachwuchs für diese wichtige Arbeit, wenn Anfeindungen zum Berufsbild gehören? Und wie finanzieren wir ihn, wenn Rundfunkgebühren infrage gestellt und Erlösmodelle privater Medienhäuser durch Big-Tech-Vorhaben in Gefahr geraten? Wir müssen darüber reden. Nicht in Ost oder West. Eine Aufgabe in ganz Deutschland.


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Mika Beuster

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Mika Beuster
Chef-Themenreporter bei VRM Wetzlar, wurde auf dem Verbandstag im November 2023 zum Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) gewählt. Davor gehörte er dem DJV-Bundesvorstand bereits seit vier Jahren an, seit 2021 als stellvertretender Bundesvorsitzender. Die Tätigkeiten im siebenköpfigen DJV-Bundesvorstand sind Ehrenämter.