Dr. Charlotte Bartels und Dr. Theresa Neef
Mehr als 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sind die wirtschaftlichen Ressourcen der Bewohnerinnen und Bewohner Ostdeutschlands weiterhin deutlich geringer als in Westdeutschland. Ostdeutsche Löhne liegen immer noch knapp 30 Prozent unter den westdeutschen Löhnen. Das durchschnittliche Vermögen der ostdeutschen Haushalte beträgt weniger als 50 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Im Folgenden beleuchten wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Einkommens- und Vermögensverteilung in Ost- und Westdeutschland und diskutieren Gründe für das anhaltende ökonomische Gefälle.
Das Durchschnittseinkommen der einkommensschwächeren Hälfte der Bevölkerung und des einkommensstärksten einen Prozents ist in Abbildung 1 (vgl. S. 49) – für die Bevölkerung Westdeutschlands auf der linken Seite und für die Bevölkerung Ostdeutschlands auf der rechten – abgebildet. Die Daten basieren auf einer zusätzlichen Auswertung einer eigenen, 2023 vorgenommenen Analyse der Einkommensverteilung in Deutschland. Das durchschnittliche Markteinkommen, also das Einkommen der Bürgerinnen und Bürger aus Arbeit und Kapitalbesitz vor Steuern und Transfers, der ostdeutschen einkommensschwächeren Hälfte liegt mit knapp 14.000 Euro im Jahr 2016 ca. 25 Prozent unter dem Niveau der entsprechenden westdeutschen Einkommensgruppe. In Ost und West stammen drei Viertel des Einkommens aus Arbeit. Die Einkommensschere vergrößert sich jedoch vor allem am oberen Ende der Verteilung, wo Unternehmens- und Vermögenseinkommen dominieren. Zum Beispiel verdienten die westdeutschen Spitzenverdiener – die Top 1 Prozent – im Jahr 2016 durchschnittlich etwa 650.000 Euro, während die ostdeutschen Spitzenverdiener circa 325.000 Euro verdienten – also rund die Hälfte. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die in Ostdeutschland lebende Bevölkerung deutlich weniger Unternehmenseinkommen erhält.
Die niedrigeren Unternehmenseinkommen liegen aber nicht an einer geringeren Häufigkeit von ostdeutschen Unternehmerinnen und Unternehmern: Laut Sozio-ökonomischem Panel (SOEP) stieg der Anteil der Selbstständigen in Ostdeutschland von 8 Prozent in den 1990ern auf ca. 10 Prozent um das Jahr 2010. Er hat damit das westdeutsche Niveau erreicht. Auch der Anteil von Haushalten mit Unternehmenseigentum ist in Ostdeutschland mit ca. 8 Prozent im Jahr 2017 ähnlich hoch wie in Westdeutschland. Das niedrigere durchschnittliche Unternehmenseinkommen der ostdeutschen Bevölkerung deutet also darauf hin, dass Unternehmen ostdeutscher Eigentümerinnen und Eigentümer im Schnitt geringere Gewinne erwirtschaften. Die Mehrheit der durch die Treuhandanstalt (THA) privatisierten Firmen wurde von westdeutschen Investorinnen und Investoren erworben, während der Anteil der Restitution an frühere Eigentümerinnen und Eigentümer und der Anteil der Verkäufe an ausländische Investorinnen und Investoren gering blieb. Die Vertragsdaten der THA zeigen, dass Unternehmen mit einer höheren Ausgangsproduktivität früher privatisiert und häufiger von westdeutschen Investorinnen und Investoren übernommen wurden. Folglich machen neu gegründete Unternehmen den Großteil des Unternehmensbesitzes der ostdeutschen Bevölkerung aus. Diese neu gegründeten ostdeutschen Unternehmen waren im Durchschnitt kleiner. Ein hoher Anteil davon entfiel auf Branchen wie Einzelhandel, Gastgewerbe und Catering, die sich durch niedrige Eintrittsbarrieren in Bezug auf finanzielle Ressourcen und erforderliche Qualifikationen auszeichnen.
Markteinkommen der Bevölkerung in West- und Ostdeutschland
a) Einkommensschwächere Hälfte (untere 50%)
Abb. 1
b) Spitzenverdiener (obere 1%)
Anmerkungen: Durchschnittliches Markteinkommen der jeweiligen Gruppe in der Einkommensverteilung (untere 50% und oberste 1%) der regionalen Bevölkerung (West- oder Ostdeutschland) in Preisen von 2015. Quelle: Besondere Auswertung, basierend auf Berechnungen von (2023).
Wohneigentümer und Vermieter nach Bundesland, 2017 (%)
Abb. 2
Darüber hinaus bestehen jedoch nicht nur Unterschiede im Unternehmenseinkommen und -vermögen, die die Spitze der Einkommens- und Vermögensverteilung bestimmen, sondern auch im Immobilienvermögen, das die größte Komponente des Vermögens der Mittelschicht bildet.
Zur Wiedervereinigung besaßen rund 25 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung ein Haus; Wohnungen waren in staatlicher Hand. Auch wenn die Eigentümerquote in den ostdeutschen Bundesländern gestiegen ist, besitzen ostdeutsche Haushalte immer noch deutlich seltener Immobilien. In Westdeutschland liegt die Eigentümerquote bei 50 Prozent, während sie in Ostdeutschland weniger als 40 Prozent beträgt (siehe Abbildung 2).
Das durchschnittliche Nettoimmobilienvermögen von Eigentümerinnen und Eigentümern in Westdeutschland ist deutlich höher als das in Ostdeutschland. Am höchsten ist das Immobilienvermögen in Bayern und Hamburg mit durchschnittlich mehr als 350.000 Euro. Es folgen Ba- den-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit Durchschnittswerten zwischen 250.000 und 350.000 Euro. In den ostdeutschen Bundesländern liegt das durchschnittliche Nettoimmobilienvermögen zwischen 100.000 und 150.000 Euro.
Wie die rechte Seite von Abbildung 2 zeigt, erhalten bundesweit zwischen 5 Prozent und 17 Prozent der Haushalte Einkommen aus Vermietung und Verpachtung. In den westdeutschen Bundesländern, insbesondere in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, erzielen mehr als 15 Prozent der Haushalte solche Einkommen, während weniger als 9 Prozent der ostdeutschen Haushalte Vermieter sind.
Fazit
Über drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung bestehen weiterhin markante Unterschiede in den Markteinkommen und Vermögen zwischen Ost- und Westdeutschland. Die Einkommens- und Vermögensschere klafft jedoch vor allem am oberen Ende der Verteilungen auseinander, wo Unternehmenseinkommen und -vermögen dominieren.
Ein Grund für die anhaltend geringeren Unternehmenseinkommen der ostdeutschen Bevölkerung sind strukturelle Merkmale der von Ostdeutschen gehaltenen Betriebe. Dazu gehören etwa die kleinere Größe der Unternehmen, der höhere Anteil an Einzelunternehmen statt Personen- oder Kapitalgesellschaften und eine geringere Einbettung in Firmennetzwerke mit mehreren Betriebsstätten. Diese systematischen Unterschiede haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten kaum verändert und werden wahrscheinlich auch in Zukunft die Angleichung der Unternehmens- und Spitzeneinkommen zwischen Ost- und Westdeutschland hemmen.
Dr. Charlotte Bartels
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) am DIW Berlin und forscht zur langfristigen Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung. 2021/2022 war sie Kennedy Memorial Fellow am Center for European Studies an der Harvard University.
Dr. Theresa Neef
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) und am World Inequality Lab an der Paris School of Economics. Sie forscht zu Einkommensungleichheit und wie Institutionen und Politikmaßnahmen Ungleichheiten beeinflussen.