Judith Borowski
NOMOS fertigt in Glashütte gute mechanische Uhren. Geschäftsführerin Judith Borowski über den Wert der Demokratie – auch und gerade im ländlichen Raum Ostdeutschlands.
Eine Kleinstadt, versteckt zwischen den Hügeln des Osterzgebirges, südlich von Dresden: Hier, in Glashütte, bauen wir unter anderem eine mechanische Armbanduhr, die unsere Verfassung feiert. „Ludwig 75 Jahre Grundgesetz“ heißt unser Sondermodell, das am Handgelenk nicht nur präzise die Zeit nennt, sondern für den Träger oder die Trägerin auch eine Visitenkarte sein soll, ein kleines Plädoyer für Recht und Freiheit und Demokratie.
Seit fast 180 Jahren werden in Glashütte mechanische Uhren gebaut, also seit vielen Generationen. In Kriegs- und DDR-Jahren haben der Ort und seine Industrie zwar gelitten, doch das Wissen, die Expertise haben überlebt – und konnten nach dem Fall der Mauer zu neuer Blüte kommen: Handwerkliche Kompetenz und Unternehmergeist trafen damals zusammen, und die neu gewonnene Demokratie lieferte die Voraussetzungen für neue Uhren aus Glashütte. Kurz nachdem im November 1989 die Mauer fiel, war NOMOS Glashütte gleich der erste der neu gegründeten Uhrenhersteller am Ort. Der Düsseldorfer Roland Schwertner, unser Gründer, war ohne Geld, doch mit einer guten Portion Abenteuergeist über die nun offene Grenze gekommen, um mit den ersten Uhrmacherinnen und Uhrmachern vor Ort Nomos zu starten.
Klar, die Jahre der Transformation aus der Plan- in die Marktwirtschaft waren auch in Glashütte nicht nur leicht. Doch es half uns auch damals schon Diversität: Auch dank völlig unterschiedlicher Kompetenzen und Problemlösungsstrategien unserer Mitarbeitenden aus Ost und West und bald einem echten Glashütter als CEO – meinem Kollegen Uwe Ahrendt, selbst unter anderem ein gelernter Werkzeugmacher – gelang die Vereinigung im Kleinen. Und außerdem zum in Stückzahlen größten Hersteller mechanischer Uhren ganz Deutschlands zu werden.
Seit 2022 Berlin die Glashütte-Verordnung verabschiedet hat, ist „Glashütte“ bekannter denn je und die am strengsten geschützte Herkunftsbezeichnung für ein technisches Produkt in Deutschland. Insgesamt zehn Uhrenhersteller gibt es hier heute. Und für jeden, der an diesem Leuchtturm-Ort der ostdeutschen Wirtschaft Uhren bauen will, liegt die Latte extrem hoch: Nichts hier kann man einfach in der Nachbarschaft dazukaufen, alle relevanten Teile muss man hier selbst fertigen, um eine Uhr als „Glashütter Uhr“ bezeichnen zu dürfen.
Der Kenner, die Kennerin weiß, woran sich Glashütte und damit Langlebigkeit und beste Qualität ablesen lässt: nur zum Beispiel die besonders stabile Dreiviertelplatine, Schliffe wie der Glashütter Streifen oder temperaturgebläute Schrauben.
Bei uns kommt stets noch die Gestaltung hinzu – beruhend auf Schulen wie Bauhaus und Deutschem Werkbund, sind Nomos-Uhren nicht nur hoch ästhetisch, sondern transportieren mit ihrem Design auch Offenheit und Toleranz. Unser Anliegen war nie der ostentative Luxus. Wir wollten und wollen mit klaren, zeitlos schlichten und erschwinglichen Instrumenten möglichst vielen Menschen eine Freude zu machen.
Denn wir brauchen Rechtssicherheit, brauchen Weltoffenheit für den Verkauf unserer Uhren weltweit, brauchen Vielfalt, um gemeinsam zu besten Ergebnissen zu kommen.
Vielerorts, auch im Osterzgebirge, sehen wir diese Ideale derzeit bedroht. Damit wird auch Haltung mehr und mehr zur Standortfrage: Es ist wichtig, dass wir unseren Kundinnen und Kunden in aller Welt signalisieren, dass Nomos für andere Werte steht. Es ist zwingend, dass die Region für Fachkräfte von außerhalb anziehend bleibt. Denn derzeit, zum Glück, spüren wir den Fachkräftemangel bei uns noch kaum; Arbeitsplätze „in der Uhr“ sind begehrt. Der demografische Wandel wird jedoch auch vor dem Osterzgebirge und der Uhrenindustrie nicht haltmachen.
Auch deshalb also mischen wir uns ein in öffentliche Debatten in den Medien, in Bundes- wie Regional- und Lokalpolitik. Mein Kollege Uwe Ahrendt setzt sich etwa als Stadtrat ein für Supermärkte, Kindertagesstätten, den Nahverkehr. Wir haben intern flache Hierarchien, üben uns an Demokratie im Kleinen. Wir freuen uns über die ruhige Konzentriertheit unserer Uhrmacher in Glashütte wie über die fröhliche Extrovertiertheit unserer Marketingexperten oder Verkäuferinnen in Berlin.
Unsere Mitarbeitenden genießen viel Eigenverantwortung. Und es hilft, Teil etwa der Initiative BC4D zu sein: In Trainings des Business Council for Democracy der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung lernen wir gutes Argumentieren oder Fake News und Verschwörungserzählungen zu erkennen.
Unsere Uhren jedenfalls sind aus meiner Sicht ohne sie nicht denkbar. Und natürlich und erst recht: Das Grundgesetz, das gerade 75 Jahre alt wurde, würde es ohne sie nicht geben. Deshalb feiern wir das Jubiläum mit der eingangs genannten Uhr „Ludwig Grundgesetz“ und mit ihr ein bisschen jede Stunde, jeden Tag.
Judith Borowski
ist seit 2004 Gesellschafterin und Co-Geschäftsführerin von NOMOS Glashütte. 2020 wurde sie als „Frau des Jahres“ ausgezeichnet – dies insbesondere auch wegen ihrer klaren Stellungnahme für Toleranz, Weltoffenheit und Vielfalt in der Wirtschaft.