Blick auf die Zukunft Europas

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Rede 35 Jahre Paneuropäisches Picknick Blick auf die Zukunft Europas

Staatsminister Carsten Schneider spricht bei einer Deutsch-Ungarischen Jugendbegegnung am 18. August 2024 in Sopron in Ungarn.

Im Rahmen des „Paneuropäischen Picknicks" rennen mehrere Hundert DDR-Bürger am 19. August 1989 durch ein Holztor über die ungarische Grenze auf die österreichische Seite.

Im Rahmen des „Paneuropäischen Picknicks" rennen mehrere Hundert DDR-Bürger am 19. August 1989 durch ein Holztor aus Ungarn auf die österreichische Seite.

Foto: Picture Alliance / AP

Es gilt das gesprochene Wort.

Ich danke Ihnen für die Einladung zu dieser Sommerakademie, die uns an einem historischen Ort zusammenbringt – und das in einem wichtigen Jubiläumsjahr. Zu beidem – zum Jubiläumsjahr und zur Rolle des Ortes Sopron – möchte ich zunächst einige kurze Gedanken formulieren. Anschließend möchte ich darüber sprechen, welche Lehren wir aus dem Jahr 1989 für unsere europäische Gegenwart und Zukunft ziehen können.

Rückblick: Die Bedeutung des Paneuropäischen Picknicks von 1989

Im Jahr 1989 war der Realsozialismus in Mitteleuropa am Ende. Es begann damit, dass die Gewerkschaft Solidarność in Polen die ersten halbfreien Wahlen aushandelte. Am 4. Juni 1989 erfuhr das polnische Regime an den Urnen eine vernichtende Niederlage.

Das war ein ganz wichtiges Datum. Denn am selben Tag rollten in Peking Panzer auf den Platz des Himmlischen Friedens. Das kommunistische Regime in China schlug die Studentenproteste gewaltsam nieder.

Ein unblutiger Verlauf der Proteste in Ostmitteleuropa war im Sommer 1989 also keineswegs selbstverständlich. Umso mutiger scheint das, was zwei Monate später hier in Sopron geschah: Für wenige Stunden sollte die Grenze zwischen Ungarn und Österreich geöffnet werden. Was als friedliches Volksfest für die Freiheit geplant war, endete in der Flucht hunderter DDR-Bürger. Es ist der Umsicht der ungarischen und österreichischen Grenzbeamten zu verdanken, dass diese Flucht ohne Blutvergießen endete.

Bald darauf schon schlossen sich hunderttausende Menschen den Montagsdemonstrationen in verschiedenen Städten der DDR an. Und auch in Prag und Bratislava versammelten sich im Herbst 1989 Menschenmassen zum friedlichen Protest.

Diese Demokratiebewegungen inspirierten und stärkten sich gegenseitig. Jeder errungene Sieg im Nachbarland machte Mut und Hoffnung für den eigenen Freiheitskampf. Die Friedliche Revolution von 1989 war damit kein nationales, sondern ein europäisches Ereignis. Und sie führte dazu, dass die Länder östlich des Eisernen Vorhangs wieder in die Mitte Europas zurückkehrten.

Welche historische Relevanz das paneuropäische Picknick hat, wird auch daran deutlich, dass morgen die Präsidenten Ungarns und Deutschlands für eine Gedenkveranstaltung hier in Sopron zusammenkommen. Die damalige Massenflucht wirkte wie ein Katalysator für die Protestbewegung in der DDR.

Doch Sopron ist weit mehr als ein historischer Erinnerungsort. Es ist bis heute Symbol für ein Europa, das sich nicht durch Mauern und Grenzen teilen lässt. Damit ist Sopron auch Orientierungspunkt für unsere europäische Gegenwart und Zukunft. Das zeigt nicht zuletzt Ihre Anwesenheit hier, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerakademie.

Als 1989 in Sopron der Grenzzaun geöffnet wurde, waren die meisten von Ihnen noch nicht geboren. Eine bewusste Erinnerung an die Aufbruchsstimmung von 1989 können Sie nicht haben. Und dennoch sind Sie hier: Um sich über die Ereignisse von damals zu informieren, und um mit anderen jungen Europäerinnen und Europäern darüber zu diskutieren, was wir von 1989 lernen können. Das finde ich sehr beeindruckend!

Mit Ihrer Anwesenheit zollen Sie den Akteuren von damals Respekt, die dafür gesorgt haben, dass das Paneuropäische Picknick als positives Ereignis in die Geschichte eingegangen ist. Zugleich halten Sie die Ideale hoch, für die die Menschen in Mittel- und Osteuropa 1989 eingetreten sind: Freiheit, Demokratie und europäisches Miteinander. Dafür vielen Dank!

Zur Gegenwart und Zukunft: Was wir von 1989 lernen können

Die Menschen in Mittel- und Osteuropa haben sich im Jahr 1989 Demokratie und Freiheit erkämpft.

Doch Freiheit ist nicht einfach. Und die Demokratie ist ein mühsames Geschäft. Sie erfordert ständige Kompromisse. Wir müssen Respekt für Positionen aufbringen, die wir nicht teilen. Und schnelle Entscheidungen sind von komplexen Demokratien nicht zu erwarten.

Enttäuschungen sind programmiert. Populisten nutzen das aus. Mit einfachen Verheißungen fordern sie unsere Demokratie heraus. Mit autoritären Parolen stellen sie unsere Grundwerte in Frage. Deshalb sind Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit. Sie haben keine Ewigkeitsgarantie. Sie müssen jeden Tag neu mit Leben erfüllt und verteidigt werden.

Die amerikanischen Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt und Steven Levitsky haben ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Wie Demokratien sterben“. Sie zeigen, dass Demokratien meistens nicht mit einem großen Knall oder einer Revolution untergehen, sondern dahinsiechen.

Weil sich niemand mehr demokratisch engagiert. Weil niemand aufsteht, wenn an den Grundfesten unseres Zusammenlebens gesägt wird. Weil sich die Bürgerinnen und Bürger nicht zuständig fühlen. So öffnet sich ein Raum für Antidemokraten. Sie füllen das Vakuum und schaffen die Demokratie – tragischerweise – mit den Mitteln der Demokratie ab.

Auch in Ostdeutschland führen wir gerade eine harte Auseinandersetzung um die Demokratie. Im September finden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg statt. Eigentlich sollten Wahlen und Wahlkämpfe Sternstunden der Demokratie sein. Momente, in denen wir alle zusammenkommen, unsere Argumente austauschen und über Ideen für unsere Zukunft diskutieren.

Doch leider werden diese Landtagswahlen überschattet von populistischen Kampagnen und politischer Gewalt. In allen drei Bundesländern führt eine rechtsextreme Partei die Umfragen an. Zugleich werden Kandidatinnen und Kandidaten demokratischer Parteien beleidigt und eingeschüchtert – und manchmal sogar körperlich angegriffen. In den letzten Monaten haben mehrere ostdeutsche Politikerinnen und Politiker ihre Ämter oder Mandate niedergelegt. Sie sind nicht länger bereit, sich den Anfeindungen auszusetzen. Auch weil sie zu wenig Unterstützung haben. Das ist fatal.

„Eine Demokratie braucht Demokraten“. Dieser Satz ist von Friedrich Ebert, dem ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Wir brauchen also Menschen, die die Demokratie mit Leben füllen. Indem sie offen für ihre Meinung eintreten. Indem sie den Austausch und den Kompromiss suchen. Und indem sie den Feinden der Demokratie entschieden widersprechen und sie in die Schranken weisen.

Sie alle sind junge Menschen, die das historische Glück haben, in einem geeinten, demokratischen und friedlichen Europa aufzuwachsen. Das ist ein riesiges Privileg, aber auch eine Verpflichtung. Engagieren Sie sich! Bilden Sie sich eine Meinung und vertreten Sie diese selbstbewusst! Aber bleiben Sie gleichzeitig offen für neue Ansichten und Perspektiven! Und suchen Sie eine Verständigung mit all den anderen, die sich ebenfalls demokratisch einbringen!

Mein Eindruck ist: Die Bereitschaft zum Austausch und zum Zuhören ist uns ein Stück weit abhandengekommen. Deshalb müssen wir den gesellschaftlichen Dialog auf allen Ebenen wieder stärken. In unserer direkten Umgebung – also in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz im Freundeskreis oder im Sportverein. Aber auch in unseren jeweiligen Nationalstaaten und natürlich: in Europa.

Ein wichtiger Ort, an dem wir den europäischen Dialog stärken wollen, ist das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ das in Halle, in Sachsen-Anhalt, entstehen wird. Hier wollen wir Menschen – vor allem auch junge Menschen – aus ganz Deutschland, aber auch Mittel- und Osteuropa zusammenbringen: für Dialog zwischen den Ländern und Generationen, für Kulturveranstaltungen und für Forschungsprojekte zu länderübergreifenden Fragestellungen.

Ich möchte Sie einladen zu verfolgen, wie sich das Zentrum entwickelt. 2030 soll die Eröffnung sein. Bis dahin werden bereits Dialogveranstaltungen und Ausstellungen durchgeführt. Ich würde mich freuen, wenn Sie ein Teil davon werden.

Denn welche Rolle das Zentrum im öffentlichen Diskurs wirklich spielen wird – das wird sich erst aus der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ergeben.

Wir wollen Debatten anstoßen. Und wir wollen zu einer selbstbewussten Stimme Ostdeutschlands und Mitteleuropas werden. Machen Sie mit!

Ausblick: Aktiv werden für Freiheit, Demokratie und offene Grenzen

Im Jahr 1989 haben sich hier in Sopron mutige Menschen zusammengefunden, um für Freiheit, Demokratie und offene Grenzen zu kämpfen. 35 Jahre später ist es an uns, das Erbe von 1989 zu bewahren.

Das ist nicht immer einfach. Unsere Demokratie und freiheitliche Lebensweise geraten von innen wie von außen unter Druck. Aber der Blick von Deutschland aus in Richtung Osten macht mir dieser Tage ein weiteres Mal Mut: In der Ukraine ist zu sehen, wie ein ganzes Volk seine Freiheit entschlossen gegen den russischen Aggressor verteidigt. Und in Polen haben wir gerade erst erlebt, wie sich Bürgerinnen und Bürger ihre Demokratie zurückerobert haben. Mit friedlichen Protesten auf den Straßen, aber auch an der Wahlurne.

Bei allen Unterschieden der Herausforderungen – der Blick in diese Länder kann uns auch heute Zuversicht geben. Wir sehen: Wenn wir fest zusammenstehen, können wir unsere Freiheit gegen die Gegner der Demokratie verteidigen.

Genau dazu möchte ich Sie heute ermuntern.

Vielen Dank!