„Ohne die Ostdeutschen wäre Olaf Scholz nicht Bundeskanzler.“

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Carsten Schneider, Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland

Carsten Schneider, Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland

Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler

Herr Schneider, laut einer aktuellen Studie stimmten im Osten mehr als 80 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass „Leute wie ich keinen Einfluss auf das Regierungsgeschehen haben“. Warum hört die Bundesregierung nicht auf die Ostdeutschen?


Carsten Schneider: Das tun wir. Diese Selbstwahrnehmung trifft auch nicht zu. Seit 1990 ist noch kein Kanzler gewählt worden, den die Ostdeutschen nicht wollten. Ob Kohl, Schröder, Merkel oder Scholz: Es waren immer die Ostdeutschen, die bei den Bundestagswahlen das Zünglein an der Waage waren. Auch diese Bundesregierung konnte nur wegen des Wahlergebnisses im Osten gebildet werden. Den Vorsprung bei der letzten Bundestagswahl hat die SPD den Direktmandaten und dem überproportional starken Abschneiden im Osten zu verdanken. Ohne die Ostdeutschen wäre Olaf Scholz heute nicht Bundeskanzler.

Nach der Lesart geben die Ostdeutschen also den Ton an?

Schneider: Das ist die reale, die real bewiesene...

Sie wollen wohl nicht real existierende sagen...

Schneider: (lacht) Nee, sagen wir einfach: Das ist die Realität! Im Ernst: Ostdeutschland hat eine ganz hohe politische Priorität, sonst gäbe es auch meine Position im Kanzleramt nicht. Das sieht man auch in der Energiekrise, als es unter anderem um die Notlage bei SKW Piesteritz in Wittenberg ging. Da hat mich Ministerpräsident Reiner Haseloff angerufen, und dann haben wir am nächsten Tag die Unternehmen ins Kanzleramt eingeladen, um nach einer Lösung zu suchen. Oder am GRW-Sonderprogramm zur Energiesicherheit, von dem auch Leuna und Umgebung mit 25% profitieren.

Was tun Sie nun konkret gegen das Misstrauen im Osten gegenüber staatlichen und demokratischen Institutionen?

Schneider: Indem wir tun, was wir sagen - und indem wir auch nur das sagen, was wir tun können. Man darf nichts versprechen, was sich nicht halten lässt. Das hat auch die SPD schon mal falsch gemacht, etwa 2005 bei der Mehrwertsteuer. Daraus haben wir gelernt. Deswegen war für uns die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro auch ein Hauptpunkt. Diese Forderung haben wir umgesetzt. Und wir dürfen nicht belehrend auftreten, sondern müssen versuchen, Vertrauen aufzubauen. Damit sich mehr Menschen an der Demokratie beteiligen und einbringen.

Der Anteil der harten Nazis ist im Osten laut der Studie gesunken - gleichzeitig gibt es aber mehr Antifeminismus oder auch Hass auf Muslime. Wie passt das zusammen?

Schneider: Das kann ich noch nicht abschließend erklären. Aber das ist auch fast ein weltweites Phänomen. Kulturelle Fragen werden von populistischen Kräften in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt. Ich will hingegen nicht das Trennende, sondern das Verbindende betonen und mich um die harten Themen kümmern: Löhne und Gehälter, Renten, soziale Absicherung und wirtschaftliche Perspektiven. Wenn die Leute sich sicher fühlen und gute Lebensbedingungen haben, gibt es auch weniger gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Unzufriedenheit. Auch das erklären die Autoren der Studie. Ich will keine weitere Spaltung, sondern dass Menschen verschiedener Bevölkerungsschichten und Generationen ins Gespräch kommen. Das geht nicht auf Facebook, das polarisiert zu sehr, und das ist ja auch deren Geschäftsmodell. Die Auswirkungen sind in den USA zu besichtigen. Für den Austausch braucht es die Begegnung, und deswegen mache ich auch diese Veranstaltung in Halle.


Warum starten Sie diese Bürgerdialoge in Halle?

Schneider: Ich habe den Auftakt bewusst nach Halle gelegt, weil es eine Stadt der Mitte ist. Nicht nur regional, sondern auch von der Größe. Eine Stadt, die Hochkultur und eine lange Geschichte hat, und wo sich zugleich mit Leuna und dem Chemiedreieck eines der Top-Transformationszentren vor der Tür befindet. Und der Wissenschaftsbereich ist in Halle wirklich großartig. Die Stadt und ihr Potenzial wird unterschätzt, auf alle Fälle von außen, manchmal auch von innen.

Weil Halle so spannend ist, ist es ja auch der perfekte Standort für das Transformationszentrum, das die Bundesregierung plant, oder?

Schneider: Ich bin nicht Mitglied der Jury, die ist unabhängig und ich will mich dazu auch nicht äußern.  

Lassen wir das mal so stehen, ich denke, man hört schon gut raus, für welche Bewerber-Stadt Ihr Herz schlägt. Ein Achtungszeichen für die Entwicklung des Ostens war die Nachricht von der Ansiedlung Intels bei Magdeburg. Jetzt ist Intel in Schwierigkeiten, entlässt massenhaft Arbeiter in den USA – muss man befürchten, dass die Mega-Investition doch nicht kommt?

Schneider: Das war kein Achtungszeichen, sondern ein Donnerschlag!  Die Bundesregierung hat das mit Nachdruck betrieben. Ministerpräsident Haseloff und Oberbürgermeister Trümper haben das in Magdeburg auch wirklich exzellent gemacht. Die Förderung von 6,8 Milliarden Euro durch den Bund zeigt, wie wichtig der Regierung der Osten ist. Die Zusammenarbeit von Stadt, Land und Bund ist hervorragend und ich bin mir deswegen auch sicher, dass diese Investition kommen wird.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beklagt beim Thema Gaslieferungen, die für das Chemiedreieck und Schwedt ja existenziell wichtig sind, dass „Nordländer“ bevorzugt würden und verweist darauf, wie viel Geld sein Land anderen schon beim Finanzausgleich gezahlt hat – klingt, als seien Nehmerländer wie Sachsen-Anhalt undankbar. Muss man das ernst nehmen?

Schneider: Diese unsolidarische Arroganz des CSU-Ministerpräsidenten ist nicht neu. Mit seinen Stammtischparolen blendet er außerdem aus, dass viele ökonomische Leistungen, auf die die CSU stolz ist, von den Ostdeutschen erbracht werden, die seit 1990 nach Bayern gegangen sind. Ohne den Osten wäre Bayern ein ärmeres Land. Außerdem hat Herr Söder anders als Ostdeutschland den Ausbau der Erneuerbaren Energien verschlafen und deswegen nun Schwierigkeiten. Davon will er vor seiner Landtagswahl im nächsten Jahr nun mit billigen Sprüchen ablenken.


Das Gespräch erschien am 11. November 2022 in der Mitteldeutschen Zeitung.