„Mehr materielle Sicherheit schaffen“

Rede im Bundestag „Mehr materielle Sicherheit schaffen“

Staatsminister Carsten Schneider stellt den „Bericht des Ostbeauftragten“ im Plenum des Deutschen Bundestags am 10. Oktober 2024 vor. Der Bericht trägt den Titel „Ost und West. Frei, vereint, und unvollkommen“.

Staatsminister Carsten Schneider spricht auf einem Podium.

Staatsminister Carsten Schneider spricht auf einem Podium.

Foto: Bundesfoto / Christina Czybik

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am Montag dieser Woche, am 7. Oktober, war ich in Plauen. Warum in Plauen? Weil es in Plauen vor 35 Jahren den ersten großen Widerstand gegen das Staatsregime der DDR, die SED, ihre Armee, ihre Kampftruppen gegeben hat. Damals wurde in Plauen nicht der 40. Jahrestag der DDR gefeiert, sondern es wurde dagegen demonstriert. Plauen ist somit der Anfang des Endes der DDR gewesen. Zwei Tage später in Leipzig – wir haben das gestern gemeinsam mit dem Bundeskanzler gefeiert – fanden sich über 70 000 Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen DDR zusammen, um in Leipzig friedlich zu demonstrieren und der SED, dem Regime, die Grenzen aufzuzeigen. Was für ein Mut gehörte vor 35 Jahren dazu! Unter großer Gefahr haben die Ostdeutschen Freiheit und Demokratie erkämpft und so die Wiedervereinigung möglich gemacht. Darauf können wir alle sehr stolz sein. Die Friedliche Revolution war und ist ein Glücksfall der Geschichte; das Jubiläum ist ein Anlass zum Feiern. Die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung haben Deutschland die Chance gegeben, sich neu zu finden und neu zu erfinden.

Nach 35 Jahren ist das für mich Anlass, Bilanz zu ziehen, wie sich Deutschland seitdem entwickelt hat: Was ist im geeinten Deutschland gelungen, und was bleibt noch zu tun? „Ost und West. Frei, vereint und unvollkommen.“ : So habe ich den diesjährigen Bericht genannt – keine Regierungspropaganda. Ich habe 20 Gastautorinnen und -autoren darum gebeten, ihren persönlichen Blick auf das wiedervereinigte Deutschland wiederzugeben. Ergänzt wird der Bericht um zentrale Regierungsvorhaben mit Fokus auf Ostdeutschland und zwei Studien, den Elitenmonitor und die Befragung des Deutschland-Monitors zum Schwerpunkt „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“.

Nach 35 Jahren lässt sich sagen: Ostdeutschland hat sich sehr gut entwickelt. Zum Beispiel wächst die ostdeutsche Wirtschaft seit zehn Jahren schneller als die Wirtschaft im Westen. In den Zukunftstechnologien entscheiden sich immer mehr internationale Großkonzerne für den Standort Ostdeutschland, weil hier die Bedingungen einfach stimmen – wir haben freie Flächen, gut ausgebildete Arbeitskräfte –, aber auch die Standortpolitik der Bundesregierung Früchte trägt. Wer hätte gedacht, dass die ostdeutsche Wirtschaft mittlerweile die gesamtdeutsche Wirtschaft stärkt? Von den Umweltschäden und der bröckelnden Bausubstanz der späten DDR-Jahre ist nicht mehr viel zu sehen. Die Städte sind modernisiert, die Infrastruktur hat sich deutlich verbessert, die Natur hat sich erholt – eine grandiose Erfolgsgeschichte.

Es hat sich aber nicht nur Ostdeutschland, sondern ganz Deutschland seit der Wiedervereinigung grundlegend gewandelt. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag hat Deutschland seine Souveränität wiedergewonnen. Wir übernehmen innerhalb der EU in der Außen-, der Sicherheits- und der Europapolitik zunehmend mehr Verantwortung, und das erwarten unsere europäischen Partner auch, wie die internationalen Autoren in dem Bericht auch schreiben. Deutschland ist eine positive, konstruktive Kraft für die europäische Einigung, und das wird so bleiben.

Dennoch bestehen bis heute deutliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland. Ich meine damit nicht die regionalen Besonderheiten, die immer bestehen werden und die unser Land auch liebenswert machen. Diese gilt es zu akzeptieren und zu schätzen. Es sind vielmehr die Unterschiede, die ungerecht sind, die wir überwinden müssen. Ein Beispiel: Ostdeutsche haben im Schnitt immer noch viel geringere Vermögen. Das macht sie für Krisen besonders sensibel, weil ihnen oft die Rücklagen fehlen. Deshalb müssen wir den Vermögensaufbau dringend schneller voranbringen. Auch arbeiten Ostdeutsche zu niedrigeren Löhnen. Abhilfe schaffen hier nur eine stärkere Tarifbindung, Gewerkschaftsmitgliedschaften und ein höherer Mindestlohn.
Mehr materielle Sicherheit zu schaffen, ist aus meiner Sicht die Aufgabe für die nächsten Jahre.

Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr auf die Diskussion und bedanke mich vor allen Dingen für Ihre Unterstützung in den vergangenen zweieinhalb Jahren, insbesondere da, wo es um die Frage der Neuansiedlung von Unternehmen ging.
Vielen Dank.