„Mehr darüber reden, wie gut sich der Osten entwickelt“

Interview mit dem Newsletter des Instituts der deutschen Wirtschaft  „Mehr darüber reden, wie gut sich der Osten entwickelt“

Der Osten schließt wirtschaftlich immer mehr zum Westen auf – trotzdem fühlen sich viele Ostdeutsche nach wie vor abgehängt. Woran das liegt, erklärt Staatsminister Carsten Schneider im iwd – dem Newsletter des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Er plädiert dafür, den Menschen den Aufschwung im Osten stärker nahezubringen und nimmt auch die Unternehmer in die Pflicht.

Staatsminister Carsten Schneider während eines Interviews

Staatsminister Carsten Schneider während eines Interviews

Foto: Bundesfoto/Bernd Lammel

Laut einer neuen IW-Studie sind die Ostdeutschen in der Einschätzung ihrer wirtschaftlichen Lage vor Ort wesentlich pessimistischer als die Menschen in Westdeutschland. Wie kommt das?
Schneider: Ich glaube, das ist die noch sehr präsente Wahrnehmung der vergangenen Jahrzehnte, die die positive Entwicklung der vergangenen Jahre überlagert. Die ostdeutschen Regionen waren in den Jahren nach der Wende von Abwanderung geprägt, auch die Arbeitslosigkeit war zunächst recht hoch. Es dauert einfach, bis die Erkenntnis generationenübergreifend verinnerlicht wird, dass sich der Osten mittlerweile super entwickelt.

Das zeigen auch die Zahlen für Ostdeutschland: Die Zahl der Arbeitsplätze ist in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, die Einkommen auch – sogar deutlich stärker als in Westdeutschland.
Ganz genau. Wir müssen alle noch viel mehr darüber reden, wie gut sich der Osten entwickelt, sodass diese positive Entwicklung den Menschen stärker bewusst wird. Es ist ein Hauptgeschäftsfeld der Parteien der politischen Ränder, den Menschen im Osten einzureden, dass sie benachteiligt sind. Das verfestigt sich natürlich mit der Zeit und bestärkt wiederum diese Parteien.

Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?
Die Unternehmerinnen und Unternehmer in Ostdeutschland müssen stärker politisch auftreten. Sie dürfen sich nicht in ihr Schneckenhaus zurückziehen, sondern müssen sich aktiv einmischen und für demokratische Parteien stark machen, damit wir aus dieser Negativspirale herauskommen. Dass das viele nicht tun oder sich sogar der AfD zuwenden, liegt aus meiner Sicht auch an einer gewissen Überforderung. Die Unternehmerschaft steht unter einem besonderen Druck, gewinnbringend zu wirtschaften,– und in den vergangenen Jahren haben sich durch die Coronapandemie, den russischen Angriffskrieg und die Energiekrise die Rahmenbedingungen dafür immer wieder sehr schnell geändert.  


Seit der Wende wird der Aufbau Ostdeutschlands finanziell gefördert. Können Sie grob überschlagen, wieviel öffentliche Gelder seitdem in die neuen Bundesländer geflossen sind?
Ein dreistelliger Milliardenbetrag. Ein Großteil davon steckt in der Infrastruktur. Zum Beispiel wurden Autobahnen und Schienennetze gebaut, die ja nicht nur dem Osten, sondern ganz Deutschland zugutekommen. Beispielhaft kann man hier die Bahnverbindung von Berlin nach München, die über Erfurt und Halle führt, nennen. Darüber hinaus flossen die Gelder auch in den Städtebau, Sanierungen, Forschung und Unternehmens- und Gründungszuschüsse sowie in soziale Unterstützung.


Wie viele öffentliche Gelder fließen dieses Jahr nach Ostdeutschland?
Es gibt ja keine spezifische Ostdeutschlandförderung mehr, sondern seit 2020 ein gesamtdeutsches Fördersystem. Diese Gelder werden nicht nach Himmelsrichtung verteilt, sondern nach konkreten Bedarfen. Wie viel davon in Ostdeutschland landet, schwankt also von Jahr zu Jahr. Ein Hauptinstrument der regionalen Wirtschaftsförderpolitik ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz GRW. Diese Förderung konzentriert sich auf strukturschwache Regionen – welche das sind, wird anhand von objektiven Indikatoren wie zum Beispiel der Arbeitslosenquote und der Wirtschaftsstärke festgemacht. Um die Fortschritte dieses, aber auch vieler weiterer Förderprogramme transparent zu machen, hat die Bundesregierung in diesem Jahr den Gleichwertigkeitsbericht eingeführt. Dieser schafft einen Überblick über die wichtigsten Maßnahmen des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sowie einen Ausblick darüber, welche Herausforderungen noch vor uns liegen.


Wenn einerseits so viel dafür getan wird, um die Wirtschaft in Ostdeutschland zu stärken, andererseits aber ein Großteil der dortigen Bevölkerung diesen Wirtschaftsaufschwung nicht wahrnimmt – ist es dann nicht an der Zeit, die Förderung zu überdenken?
Nein. Die objektiven Kriterien zeigen ja, dass die Förderung funktioniert und sich viele Wirtschaftsindikatoren verbessern. Wir müssen vielmehr an dem Punkt ansetzen, dass die Menschen diese positive Entwicklung auch wahrnehmen.


Wie kann das funktionieren?
Der Aufbau Ost ist nicht nur eine Frage des Portemonnaies, sondern auch der gesellschaftlichen Teilhabe und Akzeptanz. Um das vielfach noch präsente Gefühl der Benachteiligung zu überwinden, ist es wichtig, mehr Ostdeutsche in Führungspositionen zu bekommen. Damit Menschen nicht das Gefühl haben, sie würden fremdbestimmt. In Unternehmen, aber auch der Justiz. Zum Beispiel kommen Vor-sitzende Richterinnen und Richter nur zu 1,9 Prozent aus Ostdeutschland. Bei Führungskräften in der Wirtschaft und Arbeitgeberverbänden sind es 4,5 Prozent. Für die Bundesverwaltung hat die Bundesregierung ein entsprechendes Konzept vorgelegt und andere Branchen sollten nachziehen. Sonst geht viel gesellschaftliches Potential verloren.   


Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die anstehenden drei Landtagswahlen?
Mit gemischten Gefühlen. Fest steht, dass es ganz entscheidende Wahlen sein werden, da das Ergebnis die Entwicklung der Bundesländer längerfristig prägen wird. Insofern bin ich bin gespannt, für welchen Weg sich Wählerinnen und Wähler am Ende entscheiden.

Das Interview erschien am 29. August im iwd – Newsletter des Instituts der Deut-schen Wirtschaft.