„DIE Ostdeutschen gibt es nicht“

Interview mit dem Nordkurier „DIE Ostdeutschen gibt es nicht“

Im Interview mit dem Nordkurier spricht Staatsminister Schneider über die Wahlergebnisse in Brandenburg, das LNG-Terminal auf Rügen und den Zeitpunkt, wann es keinen Ostbeauftragten mehr braucht.

Staatsminister Carsten Schneider

Staatsminister Carsten Schneider

Foto: Bundesfoto/Christina Czybik

Herr Schneider, die beiden ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor und Sepp Müller sagen, dass es fast 35 Jahre nach der Wiedervereinigung keinen "Reiseonkel" mehr für den Osten geben müsse – zumal der Ostbeauftragte der Christdemokraten lediglich die "Macht der Visitenkarte" habe. Tut das weh, wenn Sie so etwas über Ihren Job hören?
Ich fühle mich durch die Aussagen weder beschrieben noch angesprochen. Es war gerade der SPD wichtig, die Wirkungsmöglichkeiten des Ostbeauftragten zu Beginn der jetzt laufenden Legislaturperiode markant zu stärken. Bundeskanzler Olaf Scholz hat das Amt aufgewertet, in dem ich als Staatsminister im Kanzleramt mit am Kabinettstisch sitze. Bei der CDU war der Osten eine Unterabteilung unter vielen im Wirtschaftsministerium. So viel zu den beiden Herren. Die Parteien in der nächsten Regierung müssen allerdings überlegen, ob es weiterhin einen Ostbeauftragten geben soll. Sicherlich sind wir im Jahr 2024 langsam aber sicher in der Schlusskurve und ich arbeite dafür, dass die von der Politik zu beeinflussenden Unterschiede verringert werden.

Ist der Ostbeauftragte nicht jemand, der den Ostdeutschen das Gefühl gibt, man sei nur Bürger zweiter Klasse, man brauche eigens einen Ostbeauftragten als Fürsprecher?
Ich habe während meiner Arbeit stets versucht, nicht paternalistisch aufzutreten. Ich bin niemand, der kopfstreichelnd durch den Osten läuft. Meine Aufgabe ist es, Entscheidungen der Bundesregierung positiv zu beeinflussen und das hat geklappt. Wirtschaftlich wächst Ostdeutschland seit zehn Jahren stärker als der Westen. Diese Realität sollten wir bei uns auch mal zur Kenntnis nehmen.

Haben die Ostdeutschen vielleicht auch einfach sensiblere Antennen, wenn es um die Bevormundung der Bürger durch die Politik geht? Reagiert der Ostdeutsche sensibler, wenn die Politik ihm vorgibt, welche Heizung er im Keller haben soll, wie er gendern soll, was er essen soll, welches Auto er fahren soll und was er sagen darf?
Zunächst einmal: Die Ostdeutschen gibt es nicht. Ich möchte auch ungern immer nur als Osterklärer unterwegs sein. Aber als gebürtiger DDR-Bürger habe ich auch gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und zu hören. In Ostdeutschland ist man ein bisschen sprachsensibler – denn Sprache war in der DDR politisch. Auch sind die Menschen sehr direkt und lassen sich ungern in ihr Leben hineinreden, nachdem sie sich vor 35 Jahren Freiheit und Demokratie selbst erkämpft haben.

Sensibel ist man in Ostdeutschland auch, wenn es um Jobs geht – schließlich haben nach der Wende zehntausende von Ostdeutschen ihren Arbeitsplatz verloren. Im brandenburgischen Schwedt benötigt die PCK-Ölraffinerie – die für die Versorgung mit Treibstoff in Ostdeutschland eminent wichtig ist – Hilfe. Warum beteiligt sich der Bund nicht an diesem Unternehmen – bei der Meyer-Werft im westdeutschen Papenburg ist der Bund doch auch mit einer Millionenhilfe eingestiegen? Hat die Raffinerie einfach den falschen Standort – im Osten?
Fakt ist, die PCK läuft gut, die Raffinerie ist zu 80 Prozent ausgelastet. 100 Prozent wäre maximale Vollauslastung; die gab es auch früher kaum. Wir mussten dort als Bund die Treuhänderschaft für die Mehrheitsanteile des langjährigen Gesellschafters Rosneft (russischer Staatskonzern, d. Red.) übernehmen, da ging es vor allem um die Versorgungssicherheit von Nordostdeutschland und Westpolen. Nach Beginn des Angriffskriegs Russland in der Ukraine hatten viele mit der PCK verbundene Firmen mit der Kündigung der Zusammenarbeit gedroht. Ob Software-Unternehmen, Versicherungen oder Banken – die wollten mit Rosneft keine Geschäfte mehr machen. Die Treuhänderschaft ist natürlich nur eine Zwischenlösung, eine gute Option wäre es, wenn Rosneft seine Anteile verkaufen würde. Dann könnte der Bund auch seine Treuhänderschaft beenden. Der Vergleich mit der Meyer-Werft ist total schief – die PCK erhält von der Bundesregierung so viel Aufmerksamkeit wie nur wenige Unternehmen. Wir haben ein Transformationspaket in Höhe von 750 Millionen Euro für die ostdeutschen Raffineriestandorte und den Energiehafen Rostock geschnürt – so etwas gibt es im Westen nicht. Wir können ein sehr positives Zwischenfazit ziehen, alle Arbeitsplätze sind erhalten worden.

Ein anderes großes Wirtschaftsprojekt im Osten ist das LNG-Terminal auf Rügen. Bei vielen Inselbewohnern, die seit fast zwei Jahren gegen das fossile Milliarden-Projekt demonstrieren und Angst um ihren Tourismus haben, sind Sie als vom Bundeskanzler eingesetzter LNG-Koordinator eine Persona non grata - man will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben. Was haben Sie falsch gemacht?
Ich war und bin mit ganz vielen Menschen auf Rügen in Kontakt. Der Bau des LNG-Terminals war ein demokratischer Prozess, inklusive eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Ich bin mir sicher, dass das Terminal im Hafen von Mukran für die wirtschaftliche Entwicklung Mecklenburg-Vorpommerns sehr wichtig ist. Mecklenburg-Vorpommern baut mit dem LNG-Terminal im Bereich Energie sein zweites Standbein neben dem Tourismus aus. Mecklenburg-Vorpommern wird immer mehr vom Verbraucher- zum Energieerzeugerland. Und gerade auch die Stadt Sassnitz auf Rügen und der Hafen von Mukran sind definitiv zwei Gewinner des Terminalbaus.

Jetzt aber gibt es massive Kritik am Terminalbetreiber, der Deutschen Regas. Offenbar wird für Deutschland gar nicht mehr so viel Gas benötigt – die Regas entwickelt den Standort offenbar zu einem Umschlagsplatz für LNG und liefert beispielsweise nach Schweden. Grundlage des Terminalbaus war aber die Gasmangellage und das damit unmittelbar verbundene LNG-Beschleunigungsgesetz – mit beispielsweise minderen Anforderungen an den Umweltschutz. Wie passt das zusammen?
Für die Genehmigungen für das LNG-Terminal am Standort Mukran sind die Landesbehörden zuständig. Das LNG-Beschleunigungsgesetz regelt dabei nur, unter welchen erleichterten Voraussetzungen ein LNG-Terminal genehmigt und anschließend betrieben werden kann, und nicht, wie die Betreiber es betriebswirtschaftlich nutzen dürfen. Mukran spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die Energiesicherheit, für Ostdeutschland und unsere europäischen Nachbarstaaten. Das bestätigt die Bundesnetzagentur. Es ist wichtig, dass wir darauf im kommenden Winter setzen können.

35 Jahre nach der Wende hat sich die AfD flächendeckend im Osten als stärkste Partei etabliert. Ist da etwas schief gelaufen oder ist der Osten in diesem Punkt sogar Vorreiter für den Westen?
Der Osten musste starke Umbrüche zu Beginn der 90er Jahre verkraften. Seinerzeit sind etwa 2 Millionen Menschen aus dem Osten abgewandert. Gerade viele Frauen sind weggegangen. Dadurch kommen in einigen Regionen auf 100 Frauen 140 Männer. Das sorgt für Frustration und Unsicherheit vor der Zukunft. Hinzu kamen in den vergangenen Jahren mit der Corona-Krise und dem Krieg in der Ukraine weitere Krisen, die den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft herausfordern. Das stärkt populistische Parteien. Dabei fehlt es inzwischen nicht mehr an Arbeitsplätzen, eher an Arbeitskräften. Deshalb ist ganz klar, nur dort wo Zuzug herrscht, durch Rück- und Zuwanderung, diese Regionen werden sich positiv entwickeln.

Wie bewerten Sie das aktuelle Wahlergebnis in Brandenburg gerade im Hinblick auf SPD, AfD und BSW? Und wie geht es politisch jetzt in ihrem Heimatwahlkreis in Erfurt in Thüringen mit der Regierungsbildung weiter?
Die Akteure vor Ort brauchen keine Hinweise von mir über die Medien. Als Sozialdemokrat freue ich mich aber natürlich über den Sieg von Ministerpräsident Dietmar Woidke. Das zeigt, dass gute Arbeit im Land auch von Wählerinnern und -wählern belohnt wird. Brandenburg steht für die gute Entwicklung Ostdeutschlands, beim Wirtschaftswachstum oder beim gestiegenen Durchschnittseinkommen. Die populistischen Versprechungen dagegen sind gefährlich, egal ob es um Krieg oder Frieden geht oder die Erzählung, dass wir auf internationale Zuwanderung verzichten können. Ohne sie gibt es kein Wachstum und keine Perspektiven in vielen Regionen.  
Und in Thüringen ist die Regierungsbildung jetzt erwartungsgemäß schwierig. Das BSW bleibt eine Wundertüte, und was Sahra Wagenknecht betrifft: Bei ihren Zielen steht die Zukunft Thüringens nicht so weit oben auf der Liste.

Das Interview erschien am 26.09.2024 im Nordkurier.