„Die Freiheiten liegen auf der Straße, werden aber zu wenig genutzt“ 

Forum Deutschland-Monitor

Forum Deutschland-Monitor mit Nine-Christine Müller, Prof. Dr. Theres Matthieß, Prof. Dr. Winfried Kluth und Staatsminister Carsten Schneider (von links nach rechts)

Foto: Ronny Götter

Wie viele verschiedene Gesellschaftsvorstellungen verträgt unser Land? Ist Kritik an der Verwirklichung der Freiheitsrechte in Deutschland nachvollziehbar? Wie schaffen wir wieder einen offenen Diskurs in unserer Gesellschaft? Und wie kann es gelingen, den starken Zusammenhalt der Menschen in ihrem direkten Umfeld auch auf die Gesamtgesellschaft zu übertragen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des diesjährigen „Forum Deutschland-Monitor“ am 11. April 2025 im Händel-Haus in Halle (Saale). Moderiert von Nine-Christine Müller (Podcast „Ostwärts“) kamen dabei ca. 100 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch. Anlass für die Veranstaltung war der jüngst erschienene Bericht „Deutschland-Monitor 2024“ mit dem Themenschwerpunkt „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“.

Der erste Teil der Veranstaltung begann mit einem Impuls von Prof. Dr. Marion Reiser (Friedrich-Schiller-Universität Jena). Dabei wies sie auf einen zentralen Befund des Deutschland-Monitors 2024 hin: Die freiheitlich-demokratischen Grundrechte und -werte werden von einem Großteil der Befragten in Ost und West bejaht. Allerdings gibt es geteilte Meinungen dazu, wie gut die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte in der Praxis erfahren werden. Ebenfalls interessant sei, dass die Befragten zwar mehrheitlich von einem guten Zusammenhalt vor Ort berichten, den Zusammenhalt in der Gesamtgesellschaft aber nur als schwach empfinden.

Diskrepanz zwischen tatsächlichen und wahrgenommenen Einflussmöglichkeiten

Zu diesen Kernbefunden diskutierten anschließend auf einem ersten Panel Prof. Dr. Theres Matthieß (Institut für Demokratieforschung Göttingen), Prof. Dr. Winfried Kluth (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und Staatsminister Carsten Schneider. In der Debatte mit dem Publikum entspann sich ein lebhafter Austausch über die Diskrepanz zwischen tatsächlichen und wahrgenommenem Einflussmöglichkeiten des Einzelnen in der Gesellschaft. Staatsminister Schneider: „Viele Menschen denken, sie haben in der Gesellschaft keinen Einfluss und können nichts ändern. Aber das stimmt nicht. In Ostdeutschland gibt es aber leider viel weniger Menschen, die Mitglied in politischen Parteien sind und die davon zum Beispiel in ihrem privaten Umfeld berichten können. Die Freiheiten liegen auf der Straße, werden aber zu wenig genutzt. Die Älteren sagen, ich war in der DDR mal in einer Partei, ich geh in keine mehr. Deshalb versuche ich gezielt junge Leute für das Engagement in Parteien oder Gewerkschaften zu motivieren.“

Den zweiten Teil der Veranstaltung eröffnete ein gemeinsamer Impuls von Prof. Dr. Everhard Holtmann (Zentrum für Sozialforschung Halle) und Dr. Jörg Hebenstreit (Friedrich-Schiller-Universität Jena). Sie verwiesen unter anderem darauf, dass sich laut Deutschland-Monitor 2024 die wohlfahrtsstaatlichen Erwartungen der Westdeutschen an die Erwartungen der Ostdeutschen angeglichen haben, die seit jeher höher sind. Zudem betonten Hebenstreit und Holtmann die gestiegenen Herausforderungen für den Staat mit Blick auf eine gesunkene Demokratiezufriedenheit und eine Zunahme populistischer Einstellungen. Anschließend diskutierten Prof. Dr. Astrid Lorenz (Universität Leipzig), Christian König (Mehr Demokratie e. V.) und Stefan Gruhner (Chef der Staatskanzlei und Thüringer Minister für Bundes- und Europaangelegen, Sport und Ehrenamt) darüber, wie mehr Vertrauen in Demokratie und Staat geschaffen werden kann. Einen wiederkehrenden Gedanken in der Diskussion fasste Prof. Reinhard Pollak (Leibniz-Institut GESIS) zum Ende der Veranstaltung folgendermaßen zusammen: „Wir sollten die demokratischen Prozesse hochhalten und vermeiden, nur noch die Ergebnisseite des politischen Handelns in den Blick nehmen zu wollen. Das ist schwer genug, da vor allem in Westdeutschland die Erwartungen an den Staat deutlich gestiegen sind. Besser ist es, die Bürger zu ermächtigen, vorhandene Freiheiten zu erkennen und zu nutzen. Das kann durch mehr lokalen Austausch mit der Politik gelingen.“

Zukunft von Gesellschaft und Demokratie

Der „Deutschland-Monitor“ geht zurück auf eine Handlungsempfehlung der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ aus dem Jahr 2020. Dabei handelt es sich um eine jährlich durchgeführte Studie zu politischen und gesellschaftlichen Einstellungen der Bevölkerung in Deutschland, die Anstoß und Grundlage für eine breite Debatte über die Zukunft von Gesellschaft und Demokratie sein soll. Der Deutschland-Monitor wird von Forschenden des Zentrums für Sozialforschung Halle, der Universität Jena sowie des Leibniz-Instituts GESIS erstellt und vom Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland gefördert.

Detailliertere Informationen zur Methodik und den Befunden des Deutschland-Monitors 2024 finden Sie hier