Neue Dynamik für Magdeburg

Feld mit in Reihen gepflanzten Pflanzen

Bauplatz Intel-Chip-Fabrik

Foto: picture alliance (Klaus-Dietmar Gabbert)

Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft zu einem Gespräch über Herausforderungen und Chancen, die mit der Ansiedlung einer großen Produktionsstätte des Chipherstellers Intel in Magdeburg verbunden sind. Magdeburg ist ein Leuchtturmprojekt. Ich möchte mit Ihnen darüber sprechen, was eine solche Investition für Ihre Stadt bedeutet: Wie kommt man dahin? Und wie geht man damit um?

Zunächst: Mit dem Wechsel im Amt des Oberbürgermeisters ist im Juli ein Stück Vorläuferwissen in Pension gegangen. Mein Vorgänger Lutz Trümper hat das Bemühen Magdeburgs um eine solche Großeinrichtung jahrelang begleitet. Ich habe das fast zwei Jahre alles mitverfolgt und begleitet. 

Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfolgsfaktoren für Magdeburg? 

Wir haben bereits im Vorfeld der Bewerbung um den Intel-Standort die finanzielle Situation der Stadt stabilisieren können. Man sieht an den vielen Bauprojekten, dass die Stadt lebt und einen Aufwärtstrend zu verzeichnen hat. Großprojekte wie der Wiederaufbau und die Sanierung von Stadthalle und Hyparschale (eine architektonisch anspruchsvolle, denkmalgeschützte Mehrzweckhalle) sichern für die Menschen in der Stadt eben auch Erinnerungspunkte, die eine wesentliche Rolle spielen. Es war nicht selbstverständlich, dass die Stadt sich dadurch positioniert hat, diese Objekte in einem neuen Glanz erstrahlen zu lassen. 

Ansonsten haben wir es geschafft, uns trotz des Niedergangs des Schwermaschinenbaus in eine gute Richtung zu entwickeln. Jetzt stehen wir mit der großen Ansiedlung von Intel zum einen vor einer großen Herausforderung, zum anderen haben wir aber auch die große Chance, die Stadt noch schöner werden zu lassen, noch mehr Angebote zu machen im Bereich Kultur, Sport und Bildung. Es gibt nun auch eine größere Erwartungshaltung, weil wir perspektivisch noch einiges an zusätzlichen Fachkräften brauchen, die sicher nicht nur aus der Stadt kommen. Das heißt u.a. für Uni und Hochschule Magdeburg/ Stendal, dass sie sich neu aufstellen müssen und auch die Uni mehr in die MINT-Richtung gehen muss. Die Ansiedlung ist eine enorme Herausforderung, weil Prozesse sehr schnell gestaltet werden müssen. 

Zieht die große Intel-Ansiedlung eigentlich einen Schlussstrich unter die lange Transformationsphase nach 1990? Kann man so weit gehen?

Nein, das würde ich nicht sagen, denn es gab immer eine Entwicklung. Wir haben auch vorher schon verschiedene Betriebe ansiedeln können. Ich denke aber, dass es ein erheblicher Schritt in eine weitere Transformation ist. Es muss gelingen, das ist die Herausforderung. Es geht da um Riesenbeträge und da müssen wir als Verwaltung schauen, wie wir uns aufstellen. Wichtig ist aber auch die Zusammenarbeitsebene mit dem Land Sachsen-Anhalt. Das gewinnt nochmal eine ganz andere Dimension. Platt gesagt: Wir sitzen im selben Boot und müssen sehen, dass wir das unter den Bedingungen des gerade in diesem Bereich vorhandenen Fachkräftemangels – Ingenieure und Baufachleute betreffend – gut hinbekommen.

Stärkt diese Herausforderung denn die Zusammenarbeit? 

Die Art und Weise der Zusammenarbeit, möglichst auch auf Augenhöhe, das ist ein Prozess. Ich sage es noch einmal: Wir sitzen im gleichen Boot. Es muss gelingen, dass man sich da in diesem Ober-Unter-Verhältnis ein Stück weit annähert für eine gemeinsame Sache. Denn es geht nicht nur um die Stadt Magdeburg, sondern auch noch um zwei Umlandgemeinden, die wir mit einbeziehen müssen. Diesen Kommunen fehlt noch das, was an Finanzen jetzt aufzubringen ist. Dieser Annäherungsprozess zwischen Land und Stadt läuft, und der muss gut laufen, ansonsten hätte ich einige Bedenken, ob wir das hinbekommen.

Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen Zusammenarbeit notwendig ist wegen geteilter Zuständigkeiten, beispielsweise bei der Fachkräfteausbildung. Das reicht von der Handwerksausbildung bis hin zu universitären Studiengängen. Gibt es da einen gemeinsamen Blick auf die Probleme und eine Strategieentwicklung, die zum Ziel hat, die Region selber profitieren zu lassen?

Das gibt es auf jeden Fall. Die Universität ist schon darauf ausgerichtet. Herr Strackeljan, als Rektor, hat einen Plan, der auch mit dem Land abgestimmt ist: Es gibt verschiedene Bereiche in der Stadt, die eingebunden werden. Das sind etwa Kindergartenbetreuung, Schule; internationale Schulen. Es geht schwerpunktmäßig um den Bildungsbereich; da ist auch ein Zusammenschluss mit dem Land zu sehen. Möglicherweise braucht man neue Schulen; die berufliche Bildung wird mit der Arbeitsagentur koordiniert. In dem Bereich sind wir als Stadt auch unterwegs. Zudem bei der Wirtschaftsförderung. Da passiert schon eine ganze Menge. 

Auf dem Wohnungsmarkt sind die Entwicklungen in der Stadt ohnehin positiv. Viele Neubauprojekte laufen schon, die sind kürzlich Vertretern von Intel aus den USA vorgestellt worden. Hier versprechen wir uns zudem viel von der weiteren baulichen Entwicklung der Industriebrachen, die wir noch haben. Auch hier sind Bauvorhaben in einer nennenswerten Größenordnung möglich.

Zahlreiche Neubauprojekte, auch im höherpreisigen Segment, aber eben auch das bestehende Angebot der Wohnungsunternehmen in Magdeburg konnten Intel-Vertreter besichtigen. Klar ist, dass zunächst für die erste Phase der Bauarbeiten andere Ansprüche an Wohnraum bestehen als später, wenn das Unternehmen den Betrieb aufnimmt. Da wird es für hochqualifizierte Fachkräfte auch im hochpreisigen Segment Wohnungen oder Einfamilienhäuser zu mieten oder zu kaufen geben. Ich glaube, die Industriebrachen etwa im Südosten der Stadt bieten da ein enormes Potential, wirklich schöne Wohngegenden entstehen zu lassen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen Intel und dem Standort Magdeburg? In welcher Weise artikuliert das Unternehmen seine Vorstellungen davon, wie die Stadt für seine Arbeitnehmer ein attraktiver Wohnort sein kann?

Intel hat klare Vorstellungen, denen wir auch zustimmen können. Über Wohnraum haben wir gesprochen. Magdeburg hat darüber hinaus einen großen Vorteil gerade auch in der Kinderbetreuung. Wir brauchen in Zukunft mehr internationale Angebote, also z.B. mehrsprachige Kitas mit einer ausreichenden Zahl an Plätzen und einfacher Vermittlung. Gerade letzte Woche wurde eine sog. Ankunftskita eröffnet, die mehrsprachige Angebote auf einem recht niedrigschwelligen Niveau hat, um den Einstieg zu erleichtern. 

Bei den Schulen sind wir ähnlich aufgestellt: Es gibt eine mehrsprachige Grundschule, ein mehrsprachiges Gymnasium – auch das ist Intel vorgestellt worden. 

Glauben Sie, dass die Vielzahl von Veränderungen in Magdeburg konfliktfrei abgehen werden? 

Ich bin optimistisch, was die soziale Situation in der Stadt, das soziale Gefüge und das Gesellschaftsformat angeht. Wir haben den Zuzug 2014 bis 2016 in Magdeburg mit einer guten Kommunikation und mit vernünftigen Unterbringungsmöglichkeiten gut gestaltet. Die Situation damals hat in der Bevölkerung durchaus Fragen aufgeworfen – viele junge Männer ohne Familie, die nach Magdeburg kamen, auch Wirtschaftsflüchtlinge. Da war die Stimmung etwas aufgeheizt. Mit der Ukraine, mit den Kriegsflüchtlingen, war die Situation anders. Das sind meist Frauen mit ihren Kindern. Die Hilfsbereitschaft war enorm und wir haben auch genug Unterbringungskapazitäten gefunden im Wohnungsbereich. Das ist relativ geräuschlos abgelaufen. Und ich glaube, dass es jetzt auch nochmal eine andere Dimension ist. Nun kommen Menschen zu uns, die dazu beitragen können, dass die Stadt floriert, dass es mehr Steuereinnahmen gibt, dass wir auch eine Chance haben, noch mehr Angebote für die Gesamtbevölkerung zu machen.

Abzusehen ist, dass es vermutlich Mietpreissteigerungen geben wird. Das beobachten wir schon jetzt. Da droht die Schere zwischen denen, die gut verdienen und sich Wohnungen im bestimmten Preissegment leisten können, und denen, die das nicht können, noch weiter auseinander zu gehen. Ich sehe es als Aufgabe der Stadt, da gegenzusteuern und für eine gute soziale Mischung zu sorgen. In den Wohngebieten Magdeburgs haben wir wenig Segregation zu verzeichnen. Das soll so bleiben. Da müssen auch die Wohnungsunternehmen mitmachen. 

Haben Sie den Eindruck, dass Integration da leichter ist, wo Menschen kommen, die bereits in Beschäftigung sind?

Da gibt es positive Beispiele, beispielsweise im städtischen Klinikum. Es gibt dort eine Integrationsbeauftragte, die sich auch bei der Unterbringung von Ukrainern bei uns engagiert hat. Sie hat auf diese Weise Fachkräfte ansprechen können und dafür gesorgt, dass die im Klinikum gut integriert werden konnten. Ich denke, die großen Einrichtungen in der Stadt müssen sich dazu positionieren, dass sie die Integration von neuen Mitbürgern begleiten. Beschäftigen allein, ohne ihnen auch zur Seite zu stehen – das funktioniert nicht. 

Gibt es in Magdeburg Initiativen, um zivilgesellschaftliche Unterstützung von Vereinen, Verbänden oder Unternehmen zu mobilisieren?

Wir haben in der Stadt selber zwei Integrationskoordinatoren. Es gibt ein großes Netzwerk „Migration und Integration“, die haben verschiedene Arbeitsgruppen, verschiedene Teilbereiche. Darüber hinaus gibt es die Gemeinwesen-Arbeitsgruppen. Sie bestehen in der Regel aus Bewohnern der einzelnen Stadtteile, die engagiert unterwegs sind und die auch die Integration mit in den Blick nehmen. Das Klinikum ist für mich ein konkretes Einzelbeispiel, wo das aus dem Unternehmen heraus stattfindet. 

Fachkräfte sind ein besonders schwieriges Problem bei einer großen Industrieansiedlung. Dabei arbeitet man gegen den demographischen Trend. Das Problem zeigt sich inzwischen flächendeckend. Wie begegnet Magdeburg ihm? 

Es gibt eine Zusammenarbeit zwischen den Intel-Mitarbeitenden und der Stadt. Das Unternehmen hat für die Fachkräftegewinnung, also Personalmarketing, eigene Leute. Die haben sich bereits vor Ort umgeschaut, welche Rahmenbedingung sie Fachkräften anbieten können, um sie nach Magdeburg zu holen. Es gibt auch engen Kontakt zur Arbeitsagentur, so dass klar ist, welche Anforderungen es gibt und was für Personal gebraucht wird. Die Suche wird sich nicht ausschließlich auf Magdeburg fokussieren, auch nicht nur auf das Umland. Intel wird in der ganzen Bundesrepublik und international suchen. Das Unternehmen will die Stadt unterstützen bei Angeboten, beispielweise Englisch lernen. Der internationale Zuzug wird sich in Magdeburg auch an Kleinigkeiten bemerkbar machen, etwa dass Speisekarten mehrsprachig angeboten werden, mindestens auf Englisch. Das finden Sie heute noch zu selten. Es ist geplant, ein „International House“ in der Stadt zu errichten, um Fachkräfte willkommen zu heißen und ihnen den Weg zu ebnen bei Anmeldung, Wohnungssuche und solchen Dingen. 

Haben Sie den Eindruck, dass die Transformation in Magdeburg aufgeschlossen angepackt wird? Oder überwiegt noch die Wahrnehmung davon, was möglicherweise verloren geht? 

Grundsätzlich nehme ich wahr, dass die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung optimistisch ist. Selbstverständlich gibt es auch Zweifel, beispielsweise die, ob Intel tatsächlich langfristig bleiben wird. Da gibt es Ängste. Viele fragen sich überdies, ob sich die Ansiedlung auch positiv auf die Verkehrssituation auswirken wird. Die Frage ist ja, wie kommen die Menschen dorthin? Wenn man beispielsweise Straßenbahnen bauen will, dauert das einige Jahre. Magdeburg hat keinen ICE-Anschluss, ein absolutes Minus. Die Hoffnung vieler Menschen ist groß, dass sich da etwas ändern wird. Wir haben jahrelang versucht, einen ICE-Anschluss zu bekommen. Ich finde, das wäre ein positives Signal in Richtung der Stadtbevölkerung, dass sich etwas tut. Insgesamt aber, glaube ich, ist die Stimmung überwiegend positiv, und ich hoffe, das bleibt auch so.

Simone Borris,
geb. 1962 in Gardelegen, Diplom-Kauffrau und Politikerin (parteilos). Seit 2022 Oberbürgermeisterin von Magdeburg, zuvor dort Mitarbeit am Aufbau der Verwaltungsstrukturen ab 1990 in verschiedenen Funktionen, u. a. als Beigeordnete für Soziales, Jugend und Gesundheit.